"Ihr seid im Herzen der Kirche"
Papst macht Roma-Minderheit Mut
"Ihr seid im Herzen der Kirche"
Papst macht Roma-Minderheit Mut
Von Kathpress-Korrespondent Alexander Pitz
Lunik IX liegt nicht am Ende der Welt, sondern im Herzen von Europa. Dennoch wirkt die Trabantenstadt am Rande der ostslowakischen Metropole Kosice wie abgehängt von der modernen Zivilisation. Die nach einem sowjetischen Mondsonden-Projekt benannte Plattenbausiedlung sollte dazu dienen, Angehörige der Roma-Volksgruppe in ein festes Gerüst aus autoritärem Sozialismus, Arbeit und festem Wohnsitz zu zwängen. Zu diesem Zweck wurden sie dort mit Angehörigen von Polizei und Armee untergebracht. Doch das in den 1970er-Jahren entworfene Konzept brach nach der Wende vollends zusammen.
Inzwischen gilt Lunik IX international als Lehrbeispiel dafür, was passiert, wenn ignorante Integrationspolitik auf bedingt anpassungsfähige Minderheiten trifft. Außer den Roma-Familien zogen alle weg. Massenarbeitslosigkeit, Müll, zerbrochene oder völlig fehlende Fensterscheiben und verkohlte Hauswände bestimmen das Bild. Auf dem eigentlich für 2.000 Personen ausgelegten Areal hausen heute mehr als 5.000 Menschen. Es ist zu einem Ghetto geworden.
Ausgerechnet diesen vernachlässigten Ort am Rande der Gesellschaft, am Rande der EU hat sich Papst Franziskus während seines mehrtägigen Slowakei-Besuchs für eine Stippvisite ausgesucht. Die verstreuten sechsgeschossigen Wohnblöcke gleichen Bauruinen aus nacktem Beton. Das Erdgeschoss ist meist unbewohnbar, steht voll Wasser und ist mit allen Arten von Unrat vermüllt. In den Wohnungen sieht es nicht viel besser aus. Für den Besuch aus Rom wurden zumindest die Außenanlagen ein wenig aufgehübscht. Die örtlichen Behörden wollten vor den Augen der Weltöffentlichkeit einen allzu schlechten Eindruck vermeiden.
Misstrauen und Vorurteile
Vor dem einzigen intakten Gebäude in Lunik IX, einer vom Salesianerorden geleiteten Hilfseinrichtung, wurden für den Empfang des Papstes zwei weiße Zelte aufgebaut. Davor warten am Dienstag einige Dutzend ausgewählte Zuschauer auf die Ankunft von Franziskus, viele kommen von außerhalb der Siedlung. Hunderte Bewohner müssen das Geschehen derweil hinter lückenlos gesicherten Absperrgittern verfolgen.
Muskulöse Polizisten in Polo-Shirts bewachen die Ein- und Ausgänge. Auf zwei Hausdächern sind - von der Straße aus gut zu erkennen, Scharfschützen postiert. Ein Hubschrauber kreist über dem Gelände. Sogar berittene Einheiten stehen auf einer Anhöhe in der Nähe bereit. Sicher ist eben sicher - Misstrauen und Vorurteile sind mit Händen zu greifen.
Die Roma lassen sich ihre gute Stimmung allerdings nicht nehmen. Sie singen, tanzen und schwenken Vatikanfähnchen, die ihnen die Organisatoren geschenkt haben. Es sei für die Menschen in Lunik IX "eine Ehre", dass der Papst komme, sagt Salesianerpater Peter Besenyei, der im Hilfszentrum vor Ort arbeitet. Dort werden die Kinder unter anderem bei den Hausaufgaben und generell in Sachen Bildung unterstützt. Langfristiger Erfolg stellt sich in der Regel jedoch nur in Einzelfällen ein.
Begrüßung mit Jubel
Als Franziskus endlich zu seiner halbstündigen Visite eintrifft, brandet großer Jubel auf. Der 84-Jährige stellt in seiner Ansprache unmissverständlich klar, dass er die Roma als Teil der Kirche betrachtet. Niemand habe das Recht, sie wegen ihrer Eigenheiten "beiseitezuschieben". "Der Herr sieht uns im Miteinander", betont der Papst. Urteile und Vorurteile vergrößerten nur die Abstände. Ghettoisierung bringe erst recht keine Lösung. Stattdessen sei ein "organischer, langsamer und vitaler Prozess" notwendig, der mit dem gegenseitigen Kennenlernen beginne.
Allein durch den Auftritt des Papstes kann eine solche Entwicklung in Lunik IX sicher nicht in Gang gesetzt werden. Aber womöglich verleiht das gesteigerte Medieninteresse allen Beteiligten genug Schwung für einen neuen Anlauf in Sachen Integration.
Quelle: Kathpress