Wiener Oberrabbiner: Tolerant sein reicht nicht aus
Vielfalt in Gesellschaft und Religionen nicht als Problem und "trennende Mauer", sondern als gegenseitige Bereicherung zu verstehen: Dazu hat der Wiener Oberrabbiner Jaron Engelmayer am Donnerstag in Rom beim Interreligiösen Friedenstreffen der Gemeinschaft Sant'Egidio aufgerufen. Eine bloße Haltung der Toleranz reiche dabei nicht aus, fügte Engelmayer laut Redemanuskript hinzu. "Etwas zu tolerieren bedeutet, es zuzulassen, obwohl man es selbst nicht gutheißt", gab der Oberrabbiner zu bedenken: Im Grunde denke der Tolerante, der andere habe Unrecht und erkenne die Wahrheit nicht, toleriere dies aber in vermeintlicher Großzügigkeit.
Gegenseitige Bereicherung statt Toleranz sei die bessere Denkweise, betonte Engelmayer. "Sie ist eine Chance, das eigene Leben und Verstehen zu ergänzen, statt es durch den Anspruch auf eine einzige Wahrheit zu verschließen", so der Oberrabbiner. Im 21. Jahrhundert sei das gesellschaftliche Zusammenleben Herausforderung und Chance zugleich. Die Corona-Krise habe aber weltweit mehr denn je deutlich gemacht, dass alle im selben Boot sitzen.
Engelmayer sprach im Rahmen der zweitägigen Veranstaltung im römischen Kongresszentrum "La Nuvola" am Donnerstagvormittag bei einem Panel unter dem Leitwort "Die Zukunft, die wir wollen. Junge Menschen im Dialog". Er war in der Vergangenheit bereist mehrfach bei den von der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio organisierten Interreligiösen Friedenstreffen zu Gast.
Das Motto der diesjährigen Veranstaltung, die mit einer Schlussfeier mit Papst Franziskus und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel am Kolosseum endet, lautet "Völker als Geschwister, Zukunft der Erde. Religionen und Kulturen im Dialog". An dem Friedenstreffen nehmen führende Politiker und Religionsvertreter aus 40 Ländern teil.
Quelle: kathpress