Theologe: Digitalisierung kann Wegweiser zu synodaler Kirche sein
Der Innsbrucker Pastoraltheologe, Prof. Christian Bauer, empfiehlt der Kirche, sich an den Schüben der Digitalisierung zu orientieren, wenn es darum geht, nach Wegen zu einer "synodalen Kirche" zu suchen, wie sie derzeit Papst Franziskus mit seinem weltweiten synodalen Prozess einfordert. Die unter dem Schlagwort "Internet 4.0" bekannte Entwicklung hin zu einer immer stärkeren Durchdringung und Verbindung von virtueller und realer Welt könne man kirchlich umlegen auf eine Intensivierung der synodaler Elemente in der Kirche, an denen angesichts anhaltender kirchlicher Krisenphänomene kein Weg vorbeiführe, so Bauer.
Der Theologe äußerte sich im Rahmen des Symposions "Kirche 4.0 - liturgische und pastorale Perspektiven", das am 18./19. Oktober im Salzburger Bildungshaus St. Virgil stattfand. Neben Bauer referierten bei dem von der Liturgischen Kommission Österreich sowie der Pastoralkommission Österreichs veranstalteten Symposion u. a. der Linzer Bischof Manfred Scheuer, die Wiener Theologin Ingrid Fischer und der Feldkircher Caritasdirektor Walter Schmolly.
Kirchlich betrachtet entspräche laut Bauer das Erste Vatikanische Konzil (1869/70) der Entwicklungsstufe des Web 1.0: Gemeint sei damit so etwas wie das Grundgerüst einer vor allem hierarchisch priesterzentriert ausgerichteten Kirche. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) stelle demgegenüber bereits eine erste wichtige Entwicklungsstufe - gleichsam hin zum Web 2.0 - dar, insofern die Laien als relevante Größe kirchlich in den Blick kamen - etwa in Form der Pfarrgemeinderäte. Unter Web bzw. Kirche 3.0 könne laut Bauer der Versuch unter den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. verstanden werden, "das römische Betriebssystem auf Restauration zu stellen" und gewissermaßen Schadensbegrenzung zu betreiben.
Mit Papst Franziskus und seinem nunmehrigen Projekt eines synodalen Prozesses schlage die Kirche ein neues Kapitel in Richtung "Kirche 4.0" unter dem Schlagwort der Synodalität auf. Synodalität berge ein enormes Potenzial und trage letztlich auch das Versprechen in sich, die Schattenseiten kirchlicher Institutionen - den Missbrauch - einzudämmen: "Wir müssen also neue Formen der Vergemeinschaftung finden, die so etwas wie Missbrauch, geistlichen Missbrauch, sexuellen Missbrauch, Machtmissbrauch in der Kirche einhegt und auf eine gute Weise im Geist des Evangeliums zu kultivieren hilft."
Auch für die Liturgie und Pastoral können laut Bauer aus der Analogie zwischen Kirche und Web 4.0 Schlüsse gezogen werden: Etwa in dem Sinne, dass Kirche heute neue Formen der Vergemeinschaftung brauche - freiere Netzwerke der Interaktion und des Miteinanderlebens und -glaubens, so der Theologe. "Wir stehen vor einem synodalen Reframing der Kirche. Wir haben einen klerikalen Frame, in dem sehr viel an Pastoral vor Ort noch immer stattfindet. Und wir sind gerufen, Kirche anders zu formen, nämlich in einem synodalen Deutungsrahmen."
Scheuer: Covid macht auch vor Gebet und Liturgie nicht Halt
Welche Bedeutung haben kirchlich-liturgische Vollzüge für Menschen in und nach der Pandemie? Sind sie weiterhin Trostspender, die Gemeinschaft stiften oder braucht es sie in einer hochgradig individualisierten Gesellschaft und Spiritualität nicht mehr? Dieser Frage ging der Linzer Bischof Manfred Scheuer in einem Vortrag bei dem Symposion nach. Stets seien es Krisenphänomene und -erfahrungen gewesen, die die Kirche durch ihre Geschichte hindurch herausgefordert haben und zugleich wachsen ließen, erinnerte der Bischof. Die christliche "Kultur der Barmherzigkeit" und der Nächstenliebe habe dazu geführt, dass Christen sich durch alle Zeiten hindurch der Armen, Sterbenden und Ausgegrenzte angenommen haben - und die Attraktivität der Kirche dadurch wuchs.
Covid nun stelle die Kirche abermals vor die Aufgabe, sich den Fragen zu stellen, was die kirchliche Gemeinschaft ausmache, zusammenhalte, worin das Proprium des Christlichen bestehe: "Sind es Strukturreformen? Der gemeinsame Glaube, die gemeinsame Liturgie? Die Caritas?" Die "Transformationen der Leiblichkeit" durch die Lockdowns und Einschränkungen der vergangenen eineinhalb Jahre hätten schließlich auch vor Gebet und Liturgie nicht Halt gemacht. Hier seien grundlegende Reflexionen notwendig, wie universal Liturgie zu sein habe und wie viel individuelle Freiheit es brauche, um Liturgie auch dezentral attraktiv zu halten bzw. zu machen.
Fischer: "Long-Covid in der Liturgie"
Die Wiener Theologin und Programmleiterin der "Akademie am Dom", Ingrid Fischer, rekapitulierte noch einmal die Erfahrungen der Lockdowns im Jahr 2020 aus liturgischer Sicht, d.h. aus der Perspektive der Kirchen, die ihre zentralen gottesdienstlichen Angebote nicht mehr machen konnten. Die damals einsetzende Digitalisierung der Angebote, die Ausweitung von Streaming-Angeboten etc., habe nicht nur neue Möglichkeiten der Mitfeier von Gottesdiensten geboten, sondern auch zu bedenklichen theologischen Verschiebungen geführt, so Fischer.
So sei schließlich das Gemeinschaftserlebnis der Feier und der Eucharistie angesichts der anhaltenden notwendigen Sicherheitsmaßnahmen nach wie vor eingeschränkt, auch werde ein Sakramentenverständnis forciert, das anstelle des gemeinsamen Feiercharakters und der aktiven Teilhabe der Laien am Gottesdienst ein klassisches Spender-Empfänger-Schema zementiere. Dies sei in höchstem Maße bedenklich, so Fischer. "Long-Covid für die Liturgie dauert an - ob es ein Medikament geben wird, das stärkt und heilt, bleibt geduldig oder ungeduldig abzuwarten."
Quelle: kathpress