"Kultum" Graz: Kirchliches Mehrspartenhaus in neuem Glanz
Das "Kultum" bzw. Kulturzentrum bei den Minoriten in Graz - das kirchliche Mehrspartenhaus und Museum, in dem sich zeitgenössische Kunst und Religion die Hand reichen - erstrahlt nach eineinhalbjährigen Restaurierungen in neuem Glanz. Einen fulminanten Neustart im "atemberaubend schönen Raum" des barocken Minoritensaals erlebte das Zentrum nach den Worten seines künstlerischen Leiters und Geschäftsführers Johannes Rauchenberger am vergangenen Wochenende bei der "künstlerischen Einweihung" mit dem Projekt "Atem" und teils neuer Literatur prominenter Schriftsteller und Neuer Musik. Die offizielle Eröffnung folgt am 22. Jänner 2022.
Und es gibt für das "Kultum" im Herzen von Graz darüber hinausgehende Zukunftspläne mit neuen Räumlichkeiten für eine Dauerausstellung für die "beträchtlich angewachsene" Sammlung zu Gegenwartskunst und Religion zusätzlich zu den Wechselausstellungen. "Wenn das kein Aufbruch ist", freute sich der Theologe und Kunsthistoriker am Dienstag im Gespräch mit Kathpress über die sich abzeichnenden "höchst erfreulichen Entwicklungen" in dem Ordenshaus aus dem Frühbarock mit wechselvoller Geschichte. Rauchenberger: "Auch so etwas gibt es in einer Zeit, da in den Kirchen so viel implodiert."
Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe, Arnold Stadler, Christian Lehnert, Margret Kreidl. - Bekannte Literaten waren der Einladung gefolgt, zum "Kultum"-Jahresleitmotiv "Atem" teils neue Texte zu präsentieren; bei der ersten "Bespielung" des renovierten ehemaligen Speisesaals der Minoriten aus dem 17. Jahrhundert kamen noch Neukompositionen von Sanziana Dobrovicescu, Clemens Nachtmann und Antonis Rouvelas hinzu sowie eine Führung Rauchenbergers durch die Ausstellung "Einatmen - Ausatmen". Der Atem stehe durch die Corona-Pandemie im Blickfeld, er stehe aber auch für "Spiritus", den Heiligen Geist, erklärte der Kunstexperte das Leitmotiv. Ein Beitrag in der kommenden Ausgabe des ORF-Religionsmagazins "Orientierung" (21. November, 12.30 Uhr, ORF2) können Interessierte einen Eindruck von diesem "zutiefst gelungenen" Kulturereignis und von den baulichen Neuerungen im "Kultum" gewinnen, so Rauchenberger.
Was neu ist im Kulturzentrum
Was konkret ist neu an den unter Bauherr Minoritenpater Petru Farcas vorgenommenen und durch öffentliche Mittel und Sponsoren finanzierten Änderungen? Rauchenberger nannte den Kreuzgang, in den man durch einen "Nadelöhr-artigen Eingang" neben der Mariahilferkirche gelangt; dort wurde das Bodenniveau um bis zu 20 Zentimeter abgesenkt, sodass die Säulenbasen wieder sichtbar sind und diesen "Ort der Stille" noch mehr als bisher zu einem "Geheimtipp in Graz" machen. Beide Höfe des Minoritenklosters seien durch einen Mauerdurchbruch wieder verbunden worden, der zweite Hof vor dem Minoritensaal wurde wieder autofrei. Auch der "kleine Minoritensaal" wurde adaptiert, ein neuer Buffetbereich als Ort für Kommunikation geschaffen.
Dieses bauliche Ensemble hat nach den Worten des "Kultum"-Leiters "viel Geschichte am Rücken": Es ist aus der Zeit des Frühbarock bzw. der Gegenreformation um den damaligen Erzherzog Ferdinand II., die von Graz, der Geburtsstadt des späteren Kaisers, ausging. Die Eggenberger, das damals reichste Geschlecht in Graz, finanzierten den Minoriten-Brüdern den Bau am rechten Murufer. Die Mariahilferkirche mit ihrem Gnadenbild von Pietro de Pomis wurde nach Mariazell bald die zweitwichtigste Wallfahrtskirche der Steiermark. Wallfahrermessen gibt es dort bis heute.
Vortragende Ratzinger, Rahner, von Balthasar
Dem Kloster angegliedert ist mit dem "Minoritensaal" ein eigener Baukörper, das laut dem Theologen eigentliche "Herz" des Kulturzentrums bei den Minoriten und erst Mitte der 1960er-Jahre unter dem Eindruck des Zweiten Vatikanischen Konzils für Dialog und Kultur genutzt. In dem mit eindrucksvollen Fresken von Carlo Maderni ausgestatteten ehemaligen Refektorium und dem riesigen Ölbild "Die Speisung der 5000" an der Stirnwand - jetzt laut Rauchenberger "atemberaubend schön" restauriert - hielten Theologie-Größen wie Joseph Ratzinger, Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar Vorträge; ab 1965 gab es eine "Galerie beim Minoritensaal", einer der ersten Orte für zeitgenössische Kunst in Graz.
1974 übernahm die Diözese Graz-Seckau unter Bischof Johann Weber das desolat gewordene Gesamtgebäude und bewahrte es dadurch vor dem Zugriff eines Großkaufhauses, berichtete der "Kultum"-Leiter. Unter dem Künstlerpriester Josef Fink und Harald Seuter erblühte das nunmehrige "Kulturzentrum bei den Minoriten" zu einem einzigartigen Begegnungsort für Kunst und Kirche, Gesellschaftskritik, Theater, Literatur und Neuer Musik. Dies ist es nach weiteren Turbulenzen mit der Rückgabe an den Minoritenkonvent erneut. Doch anders als das Grazer Mehrspartenhaus "Forum Stadtpark" sei hier der Fokus von Bildender Kunst, Literatur, Neuer Musik, Film und Diskurs auf Religion und Spiritualität gerichtet, umschrieb Rauchenberger die "Unverwechselbarkeit" seines Hauses.
Distanz Kirche-Kunst schwindet
Mit "profanen" Kultureinrichtungen gebe es aber kontinuierliche Zusammenarbeit. Etwa 2018 anlässlich des 800-Jahr-Diözesanjubiläums mit dem Kunsthaus Graz, als das Ausstellungsthema "Glaube Liebe Hoffnung" mit zeitgenössischer Kunst über das Christentum an zwei Orten realisiert wurde. Dabei sei - vor allem von Künstlerinnen - der kirchliche Umgang mit Sexualität und Geschlechterrollen kritisch beleuchtet worden, erinnerte sich Rauchenberger. Generell habe sich die früher oft ostentative Distanz zwischen Kirche und moderner Kunst verringert. Das "Sich-Abarbeiten" an Kirche und ihren Moralvorstellungen komme bei jüngeren Kunstschaffenden kaum mehr vor. "Umso wichtiger sind Orte der Gastfreundschaft", um Entfremdung zum Religiösen generell zu überbrücken, betonte der "Kultum"-Leiter.
So ein Ort wolle das "Kultum" noch stärker als bisher sein. Rauchenberger kündigte für kommenden Samstag die neue Ausstellung "Mutter Gottes" von Judith Zillich mit neuen Zugängen zu traditioneller Ikonenmalerei an. Im 15. Jänner wird sich der Züricher Künstler Till Velten multimedial dem Phänomen der Stigmata widmen; ab 2. März (Aschermittwoch) wird es eine umfassende Personale des aus Graz stammenden Künstlers Manfred Erjautz geben. Zu Ostern 2022 wird eine Kooperation mit dem Schauspielhaus Graz mit dem Theaterstück "Marias Zeugnis" zu Heilsgeschichte aus der Perspektive der Muttergottes einladen. (Info: www.kultum.at)
Quelle: kathpress