Psychiater: Prävention von Femizid braucht mehr Hilfen für Täter
Die Prävention von Frauenmorden braucht neben Hilfen für Opfer auch verstärkte Hilfe für die Täter sowie Maßnahmen für ein "anderes Männerbild": Das hat der Psychiater Reinhard Haller am Mittwoch in Wien bei einem Gesprächsabend der Theologischen Kurse zum Thema Rache eingefordert. Femizide geschähen in Österreich zu 70 Prozent im Zusammenhang mit Beziehungsdramen, sagte der renommierte Kriminologe, der auch der "Klasnic-Kommission" angehört. "Um Opfer eines Mordes zu werden, geht man hierzulande nicht in dunkle Gassen, sondern nach Hause." Um Gewaltszenen gegen Frauen im häuslichen Bereich vorzubeugen, sei vor allem die Arbeit mit potenziellen Tätern nötig. Man müsse auch sie als Opfer sehen.
Früher seien Frauenmorde eher "Affektdelikte" gegen Prostituierte oder wohlhabende Damen gewesen, welche die impulsiv handelnden Täter danach tiefst bereuten, berichtete Haller, der als Gerichtsgutachter mehr als 300 Mordfälle begleitete. Heute sei dies jedoch anders: "Es dominieren die Rachemorde, bei denen der Täter seiner aktuellen oder früheren Partnerin auflauert und sie öffentlich hinrichtet. Und zwar ohne Bedauern nachher. Der Täter sagt, ihm wäre das zugestanden, denn die Frau sei daran selbst schuld." Durch das Ausüben von Rache sehe der Täter zumindest vorübergehend die Gerechtigkeit und den eigenen Selbstwert wiederhergestellt oder er verspüre Genugtuung durch das gestillte Bedürfnis nach Bestrafung.
Überraschenderweise handle es sich bei den Tätern nicht um "Ungeheuer", erklärte der Psychiater. "Nur jeder Zehnte von ihnen ist ein Macho, die anderen sind zumeist relativ normal, unauffällig und schüchtern." Immer hätte der Rächende bereits zuvor gelitten, etwa an ganz alltäglichen Verletzungen wie Liebesentzug, dessen "verheerende Wirkung" laut Haller maßlos unterschätzt wird. "Wertschätzung ist wie emotionale Muttermilch. Bei Frauenmördern spielt oft die Angst 'Niemand mag mich' eine Rolle." Dass es Männern oft nicht gelinge, damit positiv umzugehen, führte Haller auf festgefahrene Rollenbilder zurück. "Noch immer glauben viele, sie dürften emotionale Verletzungen nicht zeigen, und reden nicht einmal mit engsten Freunden darüber." Frauen gelinge dies weitaus besser. Präventionsarbeit müsse daher "aufzeigen, dass sensible Männer keine Warmduscher oder Weicheier sind".
"Unkultur der Beschämung"
In Zusammenhang mit Rache und Racheakten wies Haller, dessen jüngstes Buch sich mit dem Thema beschäftigt ("Rache: Gefangen zwischen Macht und Ohnmacht", 2021), auch auf weitere problematische Trends hin. Moderne Formen seien das Mobbing wie auch sogenannte "Rachepornos", bei denen einer der Partner intime Videoaufnahmen nach Streit öffentlich präsentiert. Klar verurteilte der Experte zudem die zunehmende "Unkultur der Beschämung", welche in der Politik immer mehr Einzug halte - Stichwort: Chatprotokolle. Statt um Aufklärung gehe es hier zunehmend darum, "jemand anderem eins reinzuhauen und ihn zu beschämen", befand der Experte. Die Folgen seien dramatisch: Verletzter Stolz und Scham schürten Hass, Aggressionen, könnten einen Zyklus der Rache in Gang setzen, der in vielen Fällen mit Traumatisierung, psychosomatischen Leiden bis hin zu Suchtphänomenen verbunden sei.
"Vergeben und Verzeihen wäre das edelste, es gibt aber auch noch andere positive Strategien", so der Psychiater zur Frage nach dem richtigen Umgang mit Rachegedanken. Sich solche Gefühle überhaupt bewusst zu machen und damit "Unsägliches zur Sprache bringen" sei ein wichtiger erster Schritt, der bereits zur Entschärfung beitragen könne. Ein weiterer sei das Mentalisieren - also das Hineinfühlen in die Gegnerseite. Wer sein Rachebedürfnis umsetzt, sollte die Rache "niedriger ansetzen als der ursprüngliche Schaden war", empfahl der Psychiater, auch eine Prise Humor und Augenzwinkern seien hilfreich. Als Beispiel für "positive Rache" nannte Haller die jüngste Olympia-Gold- und Silbermedaille von Johannes Strolz, der 2021 noch aus dem ÖSV-Kader geflogen war.
Gott als Rächender
Neben Haller referierte bei dem Gesprächsabend auch Elisabeth Birnbaum, Direktorin des Katholischen Bibelwerks. Auch in der Bibel sei Rache und Rachebedürfnis ein geläufiges Thema, berichtete die Theologin. Rache sei dabei jedoch nicht als emotionale oder willkürliche Handlung zu verstehen, sondern als Rechtsbegriff, mit dem "Unrecht geahndet und ausgleichende Gerechtigkeit wieder gefunden wird". So sei auch der Spruch Gott "Mein ist die Rache" (Deuteronomium 32,34-35) zu verstehen. "Das Vertrauen darauf, dass Gott für die Bestrafung des Bösen zuständig ist, entlastet den Menschen und schafft ihm Genugtuung, ohne den anderen niedermetzeln zu müssen - also auch positive Rache", erklärte Birnbaum.
Entschieden wies die Bibelwerks-Direktorin die Auffassung zurück, das Alte Testament zeige einen grausam bestrafenden, das Neue jedoch einen liebend-vergebenden Gott. "Der erste Teil der Bibel entstand innerhalb eines Jahrtausends, in dem das Volk Israel fast pausenlos Kriege und Zeiten der Verbannung und Unterdrückung erlebte. Dennoch ist Gott auch hier einer, der sich selbst beschränkt und sein Volk zu sehr liebt, als dass er das Angedrohte mit größter Härte ausführte und keinen Neuanfang zuließe. Umgekehrt gibt es auch in den Evangelien harte Drohungen von Jesus, und das Buch der Offenbarung ist eines der gewaltsamsten Texte der Bibel." Auch hier sei die zentrale Botschaft die Gerechtigkeit für jene, die schon zu viel Unrecht erlitten hätten, unterstrich Birnbaum.
Quelle: kathpress