Ethikerin warnt vor "neuer Eugenik" durch Embryonen-Genchecks
Eine neue, wissenschaftlich nicht belegte Methode der Gen-Untersuchung von Embryonen lässt derzeit Ethikexperten die Alarmglocken läuten. Ein Screening-Test der US-Firma "Genomic Prediction" soll bei in künstlicher Befruchtung (IVF) entstandenen Embryonen anzeigen, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Kind später etwa an Diabetes, Bluthochdruck oder Brustkrebs erkrankt, um so das "gesündeste Kind" auszuwählen. Susanne Kummer, Geschäftsführerin des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE), warnte am Freitag gegenüber Kathpress vor der Rückkehr der eugenischen Idee in neuen Spielarten, die meist "wissenschaftlich und ökonomisch verbrämt" seien. "Wer darf in Zukunft noch ungetestet ins Leben?", hinterfragte die Expertin.
Genomic Prediction setzt beim Screening auf sogenannte Polygenetische Risikoscores (PRS), deren Verwendung wissenschaftlich wie auch ethisch höchst umstritten ist. Das Unternehmen verspricht Eltern, vorab aus möglichst fünf hergestellten Embryonen den "gesündesten" wählen zu können. Das erste Kind nach PRS wurde im Mai 2020 in den USA geboren - ein Mädchen, das wegen ihrer niedrigen Risikowerte ausgewählt wurde. Das an der Börse notierte Unternehmen Genomic Prediction behauptet, seine Methode sei mittlerweile schon in 173 IVF-Kliniken in 37 Ländern im Einsatz, darunter Großbritannien und Finnland. Mit Kosten von 15.000 bis 20.000 US-Dollar stellen die Gentests jedenfalls ein lukratives Geschäft dar.
Keinerlei Beweise für Risikominimierung
Dabei ist PRS jedoch "unbewiesen und unethisch", kritisieren jüngst Genetiker und Ethiker im Fachblatt "European Journal of Human Genetics". Man wisse heute, dass in der Regel viele verschiedene Gene bei der Entstehung von Erkrankungen eine Rolle spielen und das Wechselspiel mehrerer Genvarianten über einen Krankheitsausbruch bestimmt, jedoch nicht nur dieses: Auch Umweltfaktoren, Lebensstil, Ernährung und Zufall spielen eine gewichtige Rolle. So gibt es laut den Experten keinerlei Beweise dafür, dass PRS tatsächlich das individuelle Risiko vorhersagen könne. Anders gesagt: Eine Person mit hohem PRS-Wert für Haut- oder Brustkrebs wird dennoch vielleicht nie daran erkranken, während jemand mit niedrigem PRS-Wert dies vielleicht doch tut.
Dass darüber hinaus auch die schweren Bedenken hinsichtlich der Eugenik nicht wegzuwischen sind, betonte IMABE-Geschäftsführerin Kummer gegenüber Kathpress. Genetische Selektion sei vom "Erfinder" der IVF-Technologie, Robert Edwards (1925-2013), vertreten worden. Der spätere Nobelpreisträger sei so weit gegangen zu behaupten, es werde "früher oder später eine 'Sünde' für Eltern sein, ein Kind zu bekommen, das 'die schwere Last einer genetischen Krankheit trägt'". Prominente Unterstützung erfuhr die eugenische Idee und das polygene Embryonenscreening auf jedwedes Merkmal zudem von Julian Savulescu. Zur Schaffung einer intelligenteren und weniger gewalttätigen Zukunft schlug der Oxford-Philosoph vor, Menschen rational zu entwerfen - und nannte jene Eltern "verantwortungslos", die ihre Kinder nicht "selektieren".
Utopie der Leidfreiheit
Nach Deutung der kirchlichen Bioethikerin Kummer paart sich bei PRS der "utopische Gedanke einer leidfreien Gesellschaft mit High-Tech-Methoden". Selektion bestimmter Menschen in ihrem Anfangsstadium erscheine geradezu zu einer moralischen Verpflichtung, wo man das Lebensrecht an Bedingungen knüpfe. Dabei müssten jedoch Machtverhältnisse klar benannt werden: "Wer legt die Spielregeln für das Recht auf Leben fest? Mit welchen Interessen? Wer hat sein Lebensrecht in den Augen anderer verwirkt, weil er womöglich für andere zu viel Leid und Kosten produziert? Wer darf in Zukunft noch ungetestet ins Leben?", stellte Kummer in den Raum.
Als "Techno-Eugenik" wurde das PRS-Verfahren auch vom Center for Genetics and Society (CGS) kritisiert. Letztlich wollen die Anbieter "auf der Grundlage von 'guten' und 'schlechten' Genen entscheiden, wer geboren werden soll", erklärte GCS-Vizedirektorin Katie Hasson, die von "eugenischem" Gedankengut sprach. Die Bioethikerin Vardit Ravitsky von der Universität Montreal (Kanada) fürchtet, dass in einer "hyperkompetitiven Gesellschaft" der gesellschaftliche Druck auf Frauen wächst, ein polygenes Screening machen zu lassen. Schon jetzt würden Frauen bei einer IVF-Behandlung großem Druck ausgesetzt, zusätzliche Tests und Angebote der Kliniken in Anspruch zu nehmen.
Genomic-Prediction-Mitbegründer Stephen Hsu, ein Professor an der Michigan State University, sieht das anders: "Der potenzielle Nutzen für die öffentliche Gesundheit ist enorm." Hsu unterstützt die Idee der Züchtung "superintelligenter" Menschen und die Selektion von Embryonen. 2020 musste Hsu als Vizedirektor für Forschung der Michigan State University zurücktreten, nachdem 970 Wissenschaftler seine Absetzung wegen seiner rassistischen und sexistischen Positionen, eugenischer Forschung und Interessenkonflikten gefordert hatten.
Quelle: kathpress