Fischler: Stimmen der Religionen wichtig in offener Gesellschaft
Die Stimmen der Religionen sind im Sinne einer offenen Gesellschaft notwendig. Das hat der frühere EU-Kommissar Franz Fischler (ÖVP) unterstrichen. Fischler beleuchtete bei einer interreligiösen Fachtagung zum Thema "Wie politisch ist Religion?" am Mittwoch in Salzburg die "politische Perspektive" auf das kontrovers diskutierte Thema. Organisiert wurde die Tagung von der Kommission Weltreligionen der Österreichischen Bischofskonferenz. Neben Fischler referierten u.a. die Innsbrucker Religionswissenschafterin Magdalena Modler-El Abdaoui und der Wiener Theologe Kurt Appel.
Für Fischler müssen Religionen politisch sein, denn das entspreche ihren eignen Selbstverständnissen. Der göttliche Auftrag aller Religionsstifter richte sich an einen gesellschaftlichen Auftrag und sei letztlich Basis für die Gründung der Religion. Die Basis verleihe Religion gesellschaftliche Relevanz und sie werde auch zum "Reibebaum". Das gelte auch für die christlichen Kirchen, so Fischler: "Kirchen sind politisch", aber, die Kirchen seien "gut beraten, sich aus politischen Ämtern fernzuhalten". Nachsatz: "Das heißt aber nicht, dass sie sich nicht einmischen und mitdiskutieren soll".
Die Kirche habe eine wichtige Funktion innerhalb der Gesellschaft als "Salz der Erde", zeigte sich Fischer überzeugt. Auch die prophetische Aufgabe von Religion ist für den früheren österreichischen Landwirtschaftsminister eine bedeutsame, nämlich: "den Spiegel vorzuhalten und auf gesellschaftliche auf Fehler aufmerksam zu machen". Damit mache sich die Kirche zwar nicht immer sonderlich beliebt, wandte Fischler ein, aber "Kirche muss in Kauf nehmen, dass sie auch auf Widerstand stößt".
Derzeit bemerke er eine Tendenz, dass Religion in Österreich immer mehr zur Privatsache wird. Kirchen zögen sich in "kleine Gruppen" zurück, mit weniger öffentlichen Ansprüchen. Dabei sei es wichtig, dass Kirche im öffentlichen Diskurs präsent sei, sie solle etwa als "Anwältin der Menschenrechte auftreten und Verletzungen dieser anklagen", so Fischler. Das trage zu vernünftigen Machtverhältnissen bei.
Gerade die Katholische Kirche mit ihrem universellen Anspruch habe in der globalisierten Welt durch ihre weltumspannende Funktion eine größere Bedeutung als früher, zeigte sich Fischler überzeugt. Der Austausch müsse natürlich formalisiert werden. Der frühere EU-Kommissar verwies in diesem Zusammenhang etwa auf die Kommission der Europäischen Bischofskonferenzen COMECE, die einen strukturierten Dialog auf EU-Ebene ermögliche.
In Österreich würde insbesondere durch das Konkordat ein rechtlicher Rahmen zum Verhältnis Kirche-Staat gezogen - ein Mechanismus, der eine "gute Sache" sei, so Fischler. Im professionellen Umgang miteinander sei durchaus "Luft nach oben" vorhanden, verwies der ehemalige ÖVP-Politiker unter anderem auf die an die Öffentlichkeit gelangten Chatnachrichten von politisch Verantwortlichen. Diese hätten "keinen respektvollen Umgang" offenbart.
Kritisches Potenzial der Bibel
Das kritische Potenzial der Bibel auf Macht und die Politik beleuchtete der Wiener Religionsphilosoph und katholische Theologe Kurt Appel. Die Bibel offenbare eine "alternative Welt zur politischen Geschichte im Zeichen der Verletzbarkeit". Der Fokus auf das Christentum sei bis heute in seinen symbolischen Ordnungen relevant. Als ein Fundament von Politik bedürfe es solcher Erzählungen, befand der Theologe.
Religion bezeichne auch immer ein "Finden von Ausgängen", aber gleichzeitig würden diese Ausgänge besetzt und instrumentalisiert, so Appel, und: "Religion schafft da Ausgänge, wo Politik in der Krise ist". Als Beispiel nannte der Theologe die Apokalypse nach Johannes. Das letzte Buch der Bibel stehe im Zeichen des Zerbrechens von Repräsentationen. "Die Geschichte wird aus dem Blickwinkel der Opfer römisch-imperialer Politik betrachtet." In diesem Blickwinkel würden die Repräsentationen der Geschichtsmächte und keine Personen "in den Feuersee der Geschichte geworfen".
Das Verletzbare sei das, wo sich Gott offenbare, betonte Appel mit Verweis auf die Kreuzsymbolik. Das Kreuz als wirkliche Präsenz der Herrlichkeit Gottes habe eine extrem provokative Kraft. Jesus fungiere auch als Ironisierung imperialer Macht, Formen der Repräsentation würden relativiert. Die Bibel werfe einen extrem kritischen Blick auf Repräsentationsstrukturen, auf die Gesellschaft und das Politische.
Die Bibel könne dabei nicht eins zu eins als Handlungsanweisung für die Politik gelten. Das Konstrukt der Europäischen Union sieht Appel aber als Beispiel dafür, wie ein bewusster Verzicht auf einen imperialen Gestus heute ausgestaltet werden könne. So sei die EU in erster Linie in dem Bestreben errichtet worden, eine Wiederholung der Katastrophe von Auschwitz zu verhindern. Nicht ein imperialer Anspruch sei im Vordergrund gestanden.
Braucht politische und theologische Bildung
"Wie politikbegabt sind Religionen?", dieser Frage ging die Innsbrucker Religionswissenschafterin Magdalena Modler-El Abdaoui nach. Konkret fragte sie, wie religiös motivierte Menschen in einer säkularisierten Welt handlungsfähig und auf Augenhöhe agieren können. Modler-El Abdaoui hielt dabei fest, dass ein religiös motivierter Mensch ebenso "homo politicus" - also politischer Mensch - sein kann wie ein nicht religiös motivierter Mensch. Dafür müsse die staatlich-rechtliche Rahmung allerdings einen Raum für religiöse Menschen und ihre Gemeinschaften als anerkannte Gesellschaftsmitglieder bereitstellen.
Ebenso wichtig sei, dass sich religiöse Menschen einem Diskurs stellen und ihre säkularisierte Umgebung theologisch-konstruktiv reflektieren, so die Religionswissenschafterin. Zuletzt müssten religiöse Gemeinschaften ihre Mitglieder aktiv darin unterstützen, durch politische und theologische Bildung artikulations- und damit gestaltungsfähig in beiden Diskursen zu sein, so Modler-El Abdaoui abschließend.
Für Mittwochnachmittag waren unter anderem ein Vortrag zum Thema "Politischer Islam: Begriff, Konzepte, Differenzierungen" des Wiener Politikwissenschafters Thomas Schmidinger, sowie thematische Gesprächsforen vorgesehen. Abschluss bildete eine Podiumsdiskussion mit Militärbischof Werner Freistetter, dem Wiener Oberrabbiner Jaron Engelmayer, IGGÖ-Präsident Ümit Vural, dem Altkatholischen Generalvikar sowie Sher Sing von der Sikh-Glaubensgemeinschaft in Österreich zum Thema "Wie politisch ist Religion" miteinander ins Gespräch kommen.
(Info: www.kommissionweltreligionen.at)
Quelle: kathpress