
Caritas-Kinderheim aus Kiew nach Niederösterreich evakuiert
Der Krieg in der Ukraine führt nicht nur zu unvorstellbarem Leid für die Bevölkerung, sondern auch zu grenzenloser Solidarität und enormer Kreativität, um den Opfern zu helfen. Ein Beispiel dafür liefert die Evakuierung eines Kiewer Caritas-Kinderheims, das in einem aufgelassenen Gasthaus im niederösterreichischen Waidhofen/Ybbs eine neue Bleibe fand. Das Schicksal der 21 geflüchteten Waisenkinder, Jugendlichen und Betreuerinnen des einst mit Spendengeldern aus Oberösterreich errichteten "Hauses St. Josef" zeigt neben der Tragik des Krieges auch auf, wie angesichts der Not schon bestehende Hilfsbrücken ausgebaut und im Zusammenspiel vieler tragfähige Lösungen gefunden werden können.
Das Haus St. Josef liegt in der derzeitigen Kampfzone nahe des Kiewer Flughafens. Die hier lebenden Kinder und Jugendlichen - teils Vollwaisen, andere Kinder stammen aus Familien mit Suchtproblemen - hatten die erste Kriegswoche im Keller verbracht. Dies hat laut Pascale Vayer vom Verein "Kleine Herzen", der das Haus durch Patenschaften unterstützte und nun die Flucht ermöglichte, "traumatische Folgen" hinterlassen. Zugleich wurde jedoch emsig die Evakuierung vorbereitet: Viele Volontäre, Ehrenamtliche bis hin zu Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hätten das Ihre beigetragen, dass die Kinder mit ihren Betreuerinnen dann Anfang März zunächst Plätze im Zug in Richtung Polen ergatterten, berichtete Vayer. Dort wartete bereits der aus Waidhofen angereiste Bus.
Die 21-köpfige Gruppe, bestehend aus den Kindern, zwei Ordensfrauen und jungen Müttern, darunter eine im 6. Monat Schwangere - ist nun weiter vereint und lebt in einem ehemaligen Gasthof, unterstützt im Rahmen der österreichischen Ukraine-Flüchtlingshilfe sowie von der Stadtgemeinde. Der Empfang und die ersten Tage seien gut gegangen, mit viel Sportangeboten, ärztlichen und psychologischen Untersuchungen sowie dem Anlaufen von Deutschkursen und Schulbesuch, berichtete Vayer. Aus der Bevölkerung gibt es Lebensmittelspenden und Päckchen, die im Rahmen eines großen Ukraine-Hilfstransportes der Pfarre Waidhofen für die Kinder abgegeben wurden. Der aus der Slowakei stammende Pfarrmoderator Martin Talnaghi begrüßte die Neuzuzügler bei der Sonntagsmesse. Dass er in der Schule Russisch lernte, komme ihm nun entgegen, sagte er.
Haus mit Symbolwirkung
Das nun zurückgelassene Kinderheim besitzt für die römisch-katholische Kirche in der Ukraine große Symbolkraft: Vor 25 Jahren durch Spenden des Linzer Schulprojekts "Aktion Hamerlingschule hilft" und der Pfarre Leonding (OÖ) errichtet, wurde es zum Modell für landesweit 24 ähnliche Häuser des Hilfswerks Caritas-Spes, von denen ein weiteres in der Stadt Schytomyr ebenso mit der Hilfe aus Oberösterreich gebaut wurde. Kinder und Jugendliche leben dabei unter Betreuung von Ordensfrauen und unterstützt von Pädagogen und Psychologen in familienähnlicher Atmosphäre, um später ein geordnetes und eigenständiges Leben führen zu können. Auch nach dem Auszug aufgrund von Volljährigkeit blieben die Häuser bislang Anlaufstellen für die ehemaligen Bewohner.
Ebenso wie der Verein "Kleine Herzen" vor dem Hintergrund des Krieges seine Ukraine-Aktivitäten vervielfacht hat, hat man auch am Linzer Gymnasium BRG Hamerlingstraße, in dem neben den früheren Waisenhaus-Großprojekten schon seit Jahrzehnten jährlich ein Hilfsgüter-Transport in die Ukraine organisiert wird, die einst von einem Religionslehrer gestartete Hilfstradition erneuert. Neben einer Reihe von Spendenaktionen zugunsten von Ukraine-Flüchtlingen und einer Sammlung von Hilfsgütern für die Volkshilfe veranstaltete die Schulgemeinschaft vergangene Woche ein Lichtermeer für den Frieden, zu dem 700 Schüler, Lehrer und auch Eltern kamen. Die Unterstützung, um "diesem Wahnsinn des Krieges und dem Elend der Menschen etwas entgegenzusetzen", sei groß, erklärte Schuldirektor Michael Schneider.
Fast 100.000 Kinder in ukrainischen Heimen
Der Bedarf an Hilfe ist freilich weiterhin unermesslich, schon allein für die insgesamt 98.000 Kinder, die in der Ukraine bei Kriegsanbruch in betreuten Einrichtungen lebten. Zwei Drittel von ihnen haben sehr wohl Eltern, die jedoch zu arm sind, so die Einschätzung der "Kleine Herzen"-Gründerin Vayer. Die Anstrengungen im Land, um zumindest einen Teil davon aus den gefährdeten Zonen in die von den Kämpfen noch verschonte Westukraine zu bringen, sei enorm. Für effektive Hilfe sei es vor allem wichtig, die Menschen vor Ort zu unterstützen, so die Sozialexpertin. "Es gibt 44 Millionen Ukrainer, und die allermeisten von ihnen können und werden nicht ins Ausland gehen. Ihr Elend wächst Tag für Tag." Finanzielle Unterstützung an anerkannte, vor Ort tätige Organisationen halte sie für die momentan beste Hilfe, da die Übermittlung von Sachspenden in das Kriegsland selbst schwierig sei.
Das Schicksal eines weiteren ukrainischen Caritas-Kinderheims mit Österreich-Bezug erregte bereits in den vergangenen Tagen mediale Aufmerksamkeit: Das ebenfalls in Kiew befindliche "Kinderheim Aspern", deren Initiatorin Helga Tippel (83) aus der namensgebenden Pfarre Wien-Aspern stammt. Die Wienerin, die ebenfalls schon seit Jahrzehnten Ferienaufenthalte für in Summe 800 ukrainische Kinder in Wien organisierte, besitzt aufgrund ihres Engagements die Ehrenbürgerschaft von Kiew. Ans Aufhören denkt sie angesichts des Kriegsausbruchs nicht, hat sie doch jüngst zwei ukrainische Familien aufgenommen und sammelt privat wie auch über die Pfarre weiterhin Hilfsgüter und Spenden, ist Medienberichten zu entnehmen. Auch im Asperner Pfarrhof haben mittlerweile ukrainische Flüchtlinge Unterkunft gefunden, heißt es auf Anfrage.
Quelle: kathpress