Ostkirchenexperte Winkler mit heftiger Kritik an Russischer Kirche
Scharfe Kritik am Verhalten und Expansionskurs der Russisch-orthodoxen Kirche hat der Salzburger Ostkirchenexperte Prof. Dietmar Winkler geübt. Im Rahmen eines Online-Vortrags skizzierte er das Bemühen um ein Wiedererstarken des imperialen Russlands, das den russischen Staat unter Wladimir Putin und die Russisch-orthodoxe Kirche und Patriarch Kyrill verbinde. Dem Patriarchat von Moskau gehe es in seinem Agieren nicht um die Gesamtorthodoxie, sondern alleine um die Russisch-orthodoxe Kirche. Dass das Patriarchat seinen Anspruch weit über die eigenen Grenzen erhebt, zeigt nicht nur der Blick auf die Ukraine, sondern ebenso im Baltikum oder zuletzt die Errichtung diözesaner Strukturen in Afrika auf dem kanonischen Territorium des orthodoxen Patriarchats von Alexandria.
Sehr kritisch ging Winkler mit der sakralen Idee der Kiewer Rus und der damit verbundenen kirchlichen Einheit von Weißrussland, Russland und Ukraine ins Gericht. Dieser mythologische Hintergrund werde seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Niederlage Russlands im Kalten Krieg mit dem politisch ideologischen Modell der "Russischen Welt" ( Russkij Mir) vermengt, das auf die Wiedervereinigung des historischen imperialen Russlands abzielt. "Der Geschichtsmythos wird von russischer Geopolitik instrumentalisiert und realpolitisch umgesetzt", warnte Winkler.
In der russischen Öffentlichkeit würden kirchliche und politische Narrative entwickelt, die sich wechselseitig unterstützen. Ein politisches Narrativ Putins sei jenes der Schwäche demokratischer Gesellschaften, die keine starken Führer haben. Dies ziele vor allem auf den "liberalen Westen", der als schwach angesehen wird. Das betreffe etwa schwierige demokratische Entscheidungsfindungsprozesse oder gesellschaftliche Tendenzen gegen traditionelle Lebensformen. Der russische Staat wie auch die Kirche würden hier in konservativen Kreisen tief sitzende Homophobien bedienen.
Dieses politische Narrativ werde von einem kirchlichen Narrativ begleitet und unterstützt, das sich spätestens seit 2011 deutlich abzeichnete. Als ein markantes diesbezügliches Datum machte Prof. Winkler die Rede von Metropolit Hilarion (Alfejew) im März 2011 beim Weltkirche-Kongress des katholischen Hilfswerks "Kirche in Not" im deutschen Würzburg aus. Der Leiter des Moskauer Außenamts warb dort für eine "strategische Allianz" mit der katholischen Kirche zur Verteidigung traditioneller Werte in Europa. Im Rahmen dieser Partnerschaft solle gemeinsam das gesellschaftliche Bewusstsein für die Unauflöslichkeit der Ehe und den Wert menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum Tod gefestigt werden. Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Einheitsrates, nahm an der Tagung teil, reagierte damals aber sehr zurückhaltend, hob Winkler lobend hervor.
Moskau erkenne auch nicht, so der Ostkirchenexperte weiter, dass es sich bei den Werten des "liberalen Westens" letztlich um Werte handelt, die aus dem Christentum geboren wurden: die Unantastbarkeit der Menschenwürde des Einzelnen, Freiheit, Demokratie und Mitbestimmung oder generell die Menschenrechte.
Schaden für Moskauer Patriarchat
Das Verhalten von Patriarch Kyrill schwäche auf lange Sicht die russische Orthodoxie, zeigte sich Prof. Winkler überzeugt. Selbst die Ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats werde in den aktuellen Kriegshandlungen von ihrem Kirchenoberhaupt in Moskau im Stich gelassen. Auch in der Diaspora würden sich russisch-orthodoxe Gläubige und Pfarren von ihrem Patriarchen abwenden. Ein Zeugnis des zweifellos reichen Schatzes russischer spiritueller und kirchlicher Tradition in und für die Welt sei so verloren gegangen. Und auch innerhalb der Ökumene ortete Winkler für den russischen Patriarchen den "totalen Glaubwürdigkeitsverlust".
Das Verhalten der Russischen Kirche stehe auch im Kontrast zu jenem des Ökumenischen Patriarchats. Konstantinopel habe im zweiten Jahrtausend der Kirchengeschichte immer wieder einzelnen orthodoxen Landeskirchen die Unabhängigkeit (Autokephalie) gewährt; im Übrigen im 16. Jahrhundert auch dem Moskauer Patriarchat. Das Ökumenische Patriarchat habe sich damit de facto selbst verkleinert und - nach weltlichen Maßstäben - Macht abgegeben, zugleich aber Verantwortung für die Gesamtorthodoxie übernommen.
Franziskus und Bartholomaios
Für die Katholische Kirche müsse gelten, "dass der Ansprechpartner für die Gesamtorthodoxie das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel ist". Dessen Position gehöre gestärkt, wenn Rom mit der Orthodoxie im ökumenischen Dialog vorankommen will. Der Dialog mit dem Moskauer Patriarchat müsse zwar aufrecht erhalten bleiben, "aber mit dem rechten Augenmaß und keinesfalls um jeden Preis". Winkler kritisierte in diesem Zusammenhang, dass die Begegnung von Papst Franziskus mit Patriarch Kyrill 2016 auf Kuba letztlich bis heute von der Russischen Kirche instrumentalisiert wird. Vor einem weiteren Treffen mit Patriarch Kyrill müsste Papst Franziskus zunächst nach Kiew oder sich in anderer angemessener Weise der Ukraine zuwenden.
Ein Besuch in der Ukraine wäre zweifellos auch kirchlich angebracht, sei doch die Griechisch-katholische Kirche der Ukraine die zahlenmäßig größte der 21 katholischen Ostkirchen. Auch die Zusammenarbeit zwischen dem ukrainischen orthodoxen Metropoliten Epifanij und Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk funktioniert ökumenisch gut. "Danach müsste sich Papst Franziskus zuerst mit dem Ökumenischen Patriarchen verständigen und austauschen, bevor es überhaupt zu einem weiteren persönlichen Treffen mit Kyrill kommen kann", so Winkler. Der Idee eines gemeinsamen Besuchs von Franziskus und Patriarch Bartholomaios in Kiew als besonderes Zeichen konnte Winkler einiges abgewinnen.
Quelle: Kathpress