Polak: "Umbau der sozioreligiösen Landschaft Österreichs"
6,9 Millionen Menschen in Österreich - das sind 77,6 Prozent der Bevölkerung - bekennen sich zu einer Religion, rund 2 Millionen (22,4 Prozent) fühlen sich keiner Glaubensgemeinschaft zugehörig. Diese Daten aus dem Jahr 2021 hat am Mittwoch die Statistik Austria präsentiert. Rund 6,1 Millionen Männer und Frauen bekennen sich demnach zum Christentum, 745.600 Personen fühlen sich etwa dem Islam zugehörig. Während die Zahl der katholischen und evangelischen Christen beständig zurückgeht, ist die Zahl der Orthodoxen und der Muslime sowie der Religionslosen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten stark gestiegen. Für die Wiener Pastoraltheologin und Religionssoziologin Prof. Regina Polak sind die Zahlen keine Überraschung, wie sie im Kathpress-Interview sagte.
Polak sprach von einem "Umbau der sozioreligiösen Landschaft Österreichs" bzw. einem "Prozess der Normalisierung" in einem Land, das zunehmend von religiöser Pluralität gekennzeichnet ist. Verantwortlich dafür seien mehrere Faktoren: die Säkularisierung, Pluralisierung, Zuwanderung und die demografische Entwicklung.
Relevanter Marker für Identität
Im europäischen Vergleich zeige sich aber in Österreich eine immer noch sehr hohe Zugehörigkeit zu einer Religion. Knapp 78 Prozent seien ein sehr beachtlicher Wert und Religion sei offensichtlich immer noch ein relevanter Marker für Identität, dessen Bedeutung freilich sehr verschieden sein könne und verstärkt diskutiert werden sollte, betonte Prof. Polak.
Dieser Tatsache wird allerdings laut der Religionssoziologin und Theologin im öffentlichen Diskurs oft zu wenig Bedeutung beigemessen. "Dass Religion ganz grundsätzlich in der Gesellschaft an Bedeutung verliert, wie gemeinhin behauptet, spiegelt sich in diesen Zahlen jedenfalls sicher nicht wider", so Polak wörtlich: "Religion hat für die Menschen Bedeutung. Religion bleibt Thema."
Möglicherweise liege dieses Missverständnis auch darin begründet, dass der öffentliche Diskurs weitgehend von Eliten bestimmt werde. Aus dem Datenmaterial der Statistik Austria, aber auch vielen anderen Studien sei ablesbar, dass die Religionszugehörigkeit bei den weniger gebildeten und materiell schlechter gestellten Bevölkerungsschichten mehr Bedeutung habe. Diese Gruppen wollten im gesellschaftlichen und politischen Diskurs auch wahrgenommen und berücksichtigt werden, fühlten sich aber zunehmend ausgeschlossen. Das führe dazu, dass Religiosität zum kulturpolitischer Identitätsmarker wird, der sich mit antidemokratischen Tendenzen verbinden kann, warnte Polak.
Religionsfreiheit und Religionspluralismus
Zur Tatsache, dass die Zahl der Katholikinnen und Katholiken beständig zurückgeht, meinte die Pastoraltheologin, dass dies natürlich für die Katholische Kirche einen deutlichen Verlust an Größe und Einfluss bedeute. Polak: "Das Religionsmonopol hat sie längst verloren." Diese Entwicklung sei aber nur zum Teil selbst verschuldet.
Religionsfreiheit und Religionspluralismus seien ein großer Schatz und die Katholische Kirche sei längst dabei, ihren Ort in der Gesellschaft neu zu suchen und zu definieren, sagte Polak. Neue Formen des Dialogs und Zusammenlebens müssten gefunden und eingeübt werden.
Wie Prof. Polak weiter erläuterte, sei aus den Daten der Statistik Austria zwar eine Zugehörigkeit zu einer Religion ablesbar, dies sage aber nichts über religiöse Inhalte bzw. die gelebte religiöse Praxis aus. "Bei 6 Millionen Christinnen und Christen im Land müsste Österreich eigentlich anders aussehen, wenn alle ihren Glauben ernst nehmen", so Polak.
Quelle: kathpress