
Religionspodcast: Warum feministische Bibelauslegung wichtig ist
Die biblischen Texte wurden von Männern in einem zutiefst patriarchalen Umfeld geschrieben, welches die Lebenswelten von Frauen nicht berücksichtigte. Das betont die Wiener Bibelwissenschaftlerin Eva Puschautz in einer neuen Folge des Religionspodcast "Wer glaubt, wird selig". Umso notwendiger ist eine feministische Bibelauslegung, zeigt sie sich überzeugt. Puschautz berichtet von überraschenden Erkenntnissen, auf die man stößt, wenn man Texte "gegen den Strich" liest. Zu einer feministischen Bibelauslegung gehöre zudem die Frage: Welche Rückschlüsse können aus dem Vorhandenen darüber gezogen werden, was nicht in diesen Texten steht?
Die feministische Exegese blicke auf eine mehr als 120-jährige Geschichte zurück. 1895 und 1898 erschienen die beiden Teile der "Frauenbibel" von Elizabeth Cady Stanton. In den Büchern wurden sämtliche Bibelstellen, in denen es um Frauen geht, zusammengetragen. "Da ist man dann schnell darauf gekommen, dass viele dieser Stellen den Frauen nicht gut tun", erklärt Puschautz. Es sei daher wichtig, zwischen den Zeilen zu lesen. Die Bibelwissenschaftlerin spricht vom "Versuch, die Hintergründe in den Texten sichtbar zu machen, auf die sie sich beziehen, oder die vertuscht werden sollen".
Die Prophetin Isebel in der Offenbarung
Puschautz veranschaulicht die Vorgehensweise feministischer Bibelauslegung am Beispiel des zweiten Kapitels der Offenbarung, wo einer Prophetin Isebel in der Stadt Thyatira vorgeworfen wird, sie verführe Christen zur Unzucht und dazu, das Fleisch von Götzenopfern zu essen. Wer diese Stelle zum ersten Mal lese, könne sich wohl nur denken: "Was für eine furchtbare Frau!"
Feministische Exegese versuche hingegen den Hintergrund der Stelle freizulegen. Puschautz: "Es dürfte in dieser Gemeinde in der Stadt Thyatira eine Frau in einer Leitungsposition gegeben haben, die Prophetin genannt wurde. Sie war offensichtlich so bekannt, dass sie für den Verfasser der Johannesoffenbarung eine Gefahr dargestellt hat." Sie dürfte Lehren vertreten haben, die Johannes missfielen.
Die Prophetin dürfte laut Puschautz etwa der Meinung gewesen sein, dass es nicht so entscheidend sei, "was die Menschen essen, sondern dass sie Jesu Lehren befolgen". Es sei die Leistung feministischer Exegese, solche Texte mit einer "Hermeneutik des Verdachts" gegen den Strich zu lesen.
Der Name, den Johannes der Frau gab, dürfte auch nicht ihr richtiger sein: "Isebel war eine sehr negativ konnotierte Frau im Alten Testament. Sie war die heidnische Frau eines Königs, die ganz furchtbare Dinge tat und den Propheten Elias umbringen wollte." Am Schluss wird die alttestamentarische Isebel von Hunden gefressen. Auf den Offenbarungstext über die Prophetin Isebel angewendet, bedeutet das laut Puschautz folgendes: "So kommt man dahinter, dass das, was diese Frau vertreten hat, vielleicht eine andere Auslegung des Glaubens war, es aber nichts mit Teufel und Krankheit zu tun hat." Für Puschautz ist die Prophetin Isebel bemerkenswert: "Da gab es eine Frau, die eine Gemeinde geleitet hat, auf die gehört wurde und die andere zu diesem Glauben hinführen konnte, auf eine Art, wie dieser Glaube auch lebbar blieb."
Patriarchale Strukturen in der Kirche
Die Frage, warum es immer noch schwerfalle, patriarchale Strukturen in der Kirche aufzubrechen, lässt sich für Puschautz leicht beantworten: "Weil in den entscheidenden Positionen Männer sitzen." Die feministische Exegese sei in den 1970er- und 1980er-Jahren im deutschsprachigen Raum sehr stark geworden, eigene Lehrstühle wurden geschaffen. Aber: Die Katholische Kirche kämpfe in Zentraleuropa um ihre Existenz, so Puschautz. Das liege auch daran, dass sie gesellschaftliche Prozesse verpasst habe. Daraus folge, dass es an den Fakultäten weniger Studierende gibt. "Da sind dann Stimmen, die an der eigenen Struktur rütteln, schwierig." Bei der feministischen Exegese komme hinzu, dass viele der Meinung seien, dass es ohnehin schon Gleichberechtigung gebe. Doch das sei nicht der Fall, so Puschautz: "Solange die gesellschaftlichen Bedingungen nicht so sind, dass Männer und Frauen wirklich egalitär Wissenschaft betreiben können, muss die feministische Option aufrechterhalten werden."
Die Radikalisierung Jugendlicher verhindern
In einer weiteren Podcast-Folge erzählen der Sozialarbeiter Fabian Reicher und die Journalistin Anja Melzer von ihrem neuen Buch "Die Wütenden. Warum wir im Umgang mit dschihadistischem Terror radikal umdenken müssen". In dem Buch wird anhand der Biografien von fünf Jugendlichen gezeigt, wie es gelingen kann, diesen beim Ausstieg aus der für sie verlockend erscheinenden Subkultur zu helfen.
Fabian Reicher arbeitet bei der "Beratungsstelle Extremismus" im Bereich der Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit. Seit Jahren begleitet er Jugendliche, die in den Sog extremistischer Strömungen geraten sind. Im Buch wird die Wirkungsweise der IS-Propaganda und ihre Anziehungskraft auf europäische Jugendliche beschrieben.
Die Entstehungsgeschichte des Buches ist eng mit der Terrornacht in Wien Anfang November 2020 verbunden, wie Anja Melzer erzählt. "Die Wütenden" sei als Resultat aus dem Anschlag, sowie den Reaktionen und Konsequenzen in den Tagen darauf entstanden. Reicher über den 2. November 2020: "Am Anfang war der erste Gedanke: 'Hoffentlich war da keiner von meinen Jungs dabei.'" Wenn man in der Extremismusarbeit etwas übersieht, könne das fatale Folgen haben. "Das hat sich aber relativ schnell aufgeklärt, weil die meisten Jungs mir von sich aus geschrieben haben, weil sie wussten, dass ich im Bereich Schwedenplatz mein Büro habe. Die haben sich Sorgen gemacht, das war ein sehr schönes Gefühl."
Reicher betont, dass unbedingt verhindert werden müsse, dass Jugendliche in einen "Wir-gegen-die-anderen-Sog" geraten. Hierzulande werde wohl zu sehr auf die Netzwerktheorie gesetzt. Diese besagt, dass es eine Kommandostruktur gibt, die Anschläge plane. Doch laut Reicher läuft vieles informeller ab. "Ein Jugendlicher von mir wurde in den Medien als jemand beschrieben, der an dem Anschlag beteiligt war, weil er den Attentäter angeblich gekannt hat." Der Jugendliche habe ihn dann angerufen und gefragt, warum die Medien das so berichten würden und ihn als mutmaßlichen Drahtzieher hinstellen. Reicher: "Er hat ein halbes Jahr vor dem Anschlag auf eine Instagram-Story des Täters geantwortet." Polizei und Sicherheitsbehörden wüssten laut Reicher, dass es sonst keinen weiteren Kontakt gegeben hat
Scharfe Kritik übte Reicher auch an der "Operation Luxor", die keine nennenswerten Ermittlungserfolge gebracht habe. Am 9. November 2020, wenige Tage nach dem Terroranschlag in Wien, waren 60 Hausdurchsuchungen in ganz Österreich durchgeführt worden. Es habe sich nach Meinung des Sozialarbeiters um eine rein populistische Inszenierung gehandelt. "Das ist so weit weg von der Praxis und den Problemen, mit denen wir konfrontiert sind, von denen es genug gibt", so Reicher.
Tschetschenische Jugendliche gefährdet
Laut Melzer besteht nun die Gefahr, dass einzelne Jugendliche mit tschetschenischem Hintergrund aufgrund ihrer Vorgeschichten in den Ukrainekrieg gegen Putin ziehen möchten. "Da könnte eine neue "Foreign Fighters'-Thematik entstehen." Für 15- bis 16-Jährige in der Identitätssuche, die vielleicht Helden werden möchten und unter der Coronapandemie sehr gelitten haben, sei dies äußerst gefährlich.
Um zu den Jugendlichen vordringen zu können, müsse er einen vertraulichen Raum schaffen, in dem sie über alles sprechen können, was in ihnen vorgeht und was sie bewegt, erläutert Reicher. Oft seien dies Erfahrungen der Ohnmacht, Wut, Scham und Schwäche. In seiner Arbeit, so Reicher, gehe es um die bewusste Auseinandersetzung zwischen Weltbildern, die sich zwar widersprechen, aber gegenseitig zu begreifen versuchen. Es stelle sich die Frage nach dem Ziel: "Wollen wir diesen Diskurs über Islam und Terror, der mit dem 11. September begann und einen ewigen Kreislauf aus Rache und Gewalt darstellt, lösen oder nicht? Die Jugendlichen und ich, wir würden das gerne lösen." - Das Buch "Die Wütenden. Warum wir im Umgang mit dschihadistischem Terror radikal umdenken müssen" erschien im Februar 2022 im Westend Verlag.
Der Religionspodcast "Wer glaubt, wird selig" ist auf www.katholisch.at, auf www.studio-omega.at, auf https://studio-omega-der-podcast.simplecast.com sowie auf iTunes, allen Smartphone-Apps für Podcasts, auf Spotify und auf Youtube (https://www.youtube.com/channel/UCwJ-QjJFPX4EGRuHBHsIJJQ/featured) abrufbar.
Quelle: kathpress