Wien: Diskussion zwischen den Polen "Armut und Luxus"
Kann die Gesellschaft angesichts multipler Krisen einfach "weitermachen wie bisher?" Dieser Frage ging eine Podiumsdiskussion in der Wiener Franziskanerkirche im Rahmen der "Langen Nacht der Kirchen" am Freitag nach. Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine, Klimakrise, der gewohnte Lebensstandard finde sich plötzlich infrage gestellt. Was kann in der Krise Kraft geben und welche Alternativen gibt es?, darüber diskutierten der evangelische Bischof Michael Chalupka, der Guardian der Franziskaner, P. Oliver Ruggenthaler und der Schriftsteller Vladimir Vertlib.
Gegen eine "Leistungsideologie" in jeglicher Form sprach sich Bischof Chalupka aus. Zum einen könne er das aus der evangelischen Theologie heraus begründen, wonach jeder Mensch von Gottes Gnade "in übervollen Maß" beschenkt werde, ohne dafür etwas leisten zu müssen. "Wir müssen diese Gnade nur weiterfließen lassen und dürfen nicht alles für uns behalten", so Chalupka. Zum anderen habe er noch in seiner Zeit als Direktor der Diakonie gedacht, dass nachdem die Gesellschaft 2008 ganze Banken in einem gemeinsamen Kraftakt gerettet habe, es so schnell nicht wieder zu einem gesellschaftlichen und politischen Auseinanderdividieren zwischen sogenannten "Leistungsträgern" und denen, die über nicht so viel Mittel verfügen, kommen würde. Er sei eines Besseren belehrt worden. "Es kam ganz schnell wieder", so Chalupka.
Dass es so wie es ist, nicht weitergehen kann, verdeutliche ihm derzeit eine Reihe von Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern in ganz Österreich zur Klimakrise, berichtete Chalupka. Es sei notwendig, die Klimafrage sozial und ökologisch zugleich zu denken. Begeistert sei er, wie informiert und "hoch sachkompetent" die Jugendlichen seien. Dabei seien sie nicht resigniert oder wütend, "damit halten sie sich nicht auf, das macht Hoffnung", so der Bischof.
In der aktuellen Debatte stehe für ihn außer Frage, dass Sozialleistungen an die Inflation angepasst werden müssten. Das sei nur logisch, denn, "wenn Sozialleistungen dazu dienen sollen, Menschen das Mindeste zum Überleben zu garantieren, dann muss sie mitwachsen, wenn die Kosten steigen". Es sei verwunderlich, dass diese Forderung bislang nur von Kirchen, Hilfsorganisationen und Wirtschaftsforschern erhoben werden, während die Parteien, selbst die Opposition, sich bedeckt hielten.
Für P. Oliver Ruggenthaler, Guardian der Franziskaner in Wien und Leiter des Hilfswerks des Franziskanerordens, "Franz Hilf", ist das Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich schon seit Jahren bemerkbar. Zeigen würde sich das etwa bei den täglichen Ausspeisungen der Franziskaner für bedürftige Menschen. Das seien "alte Menschen, aber auch jüngere mit Kindern, das Spektrum ist groß". Kosten für Mieten oder die Bildung der Kinder seien für viele schwer zu stemmen. "Der soziale Druck ist sehr groß, es gibt viel verborgene Armut", es gelte deshalb ein waches Wesen für die Nöte der Menschen zu behalten.
Die Spannung zwischen Arm und Reich sei auch eine, die das Ordensleben kennzeichne. Zum einen gelte das Armutsgelübde, eine Art "Freiheit arm zu sein". Zum anderen verfüge der Orden natürlich über Besitz und kirchliche Gebäude. Für ihn sei es aber immer eine Frage, wie man diesen Besitz einsetz. Während der Corona-Krise habe man beispielsweise in Innsbruck den Klostergarten geöffnet, um Menschen, die selbst unter beengten Bedingungen lebten, einen Raum zu öffnen.
Das Leben mit all seiner Fülle annehmen
Der Salzburger Autor mit russisch-jüdischen Wurzeln, Vladimir Vertlib, sieht es als Gnade, schreiben zu dürfen. Vielen Menschen werde die Gnade, den Beruf ergreifen zu können, den sie auch wirklich ausüben wollen, nicht zuteil. Diesen würde dann oft unterstellt, "sie seien ja selber Schuld", dabei könne es viele Gründe geben und in den wenigsten Fällen sei das selbst verschuldet, zeigte er sich überzeugt. Er sehe es als Auftrag, sich positiv in diese Welt einzubringen. "Dieses Glück ist auch ein gewisse Verpflichtung, das Leben sinnlich mit all seiner Fülle anzunehmen."
In Zeiten von Social Media neigen die Menschen oftmals dazu, zu allem eine Meinung zu haben. Vertlib: "Die Menschen tendieren dazu, alles schwarz oder weiß zu sehen, alle sind Experten, erst sind sie alle Fußballtrainer, jetzt kennen sich alle beim Militär und der Kriegsführung aus". Dabei seien die Dinge oft komplexer, bei anderen Fragen sei es aber auch sehr klar. Am Anfang der Corona-Krise etwa, sei Geld mit der Gießkanne vergeben worden, erinnerte Vertlib an den Ausspruch "Koste es, was es wolle". Da, wo es aber wichtig wäre, "im Kindergarten, der Schule, der Pflege oder dem medizinischen Bereich, für Alleinerziehende, da ist kein Geld da", kritisierte der Autor, hier gehe es auch um Fragen der Haltung.
Einig waren sich alle drei Diskutanten darüber, dass sich die positive Stimmung gegenüber den aus der Ukraine geflüchteten Menschen schnell umkehren könnte, wenn populistische Politiker damit beginnen, das Thema für sich zu nutzen. Irgendwann könnten die Menschen auch das Interesse verlieren, wenn der Krieg sich, wie zu befürchten ist, noch sehr lange ziehe. Wichtig sei für Schriftsteller nicht zu schweigen und nicht zu vergessen, "wie wertvoll unser eigenes Leben ist, aber wie schnell es kippen kann", so Vertlib. "Geht man mit sich selber wertvoll um und mit den anderen auch", sei schon viel getan. Gleichzeitig gehe es darum, sein eigenes Umfeld ein kleines bisschen zu verbessern, "politisch und historisch wach zu bleiben und wenn nötig, dagegen zu sprechen".
Quelle: kathpress