Glettler: Kirche braucht mehr Nähe zur heutigen Familienrealität
Österreichs "Familienbischof" Hermann Glettler sieht im derzeit laufenden Weltfamilientreffen einen "Test, ob wir als Kirche synodal unterwegs sind": "Die Herausforderung besteht darin, die bunte Palette von Lebensrealitäten wahrzunehmen und Familien in ihren Bedürfnissen zu unterstützen", sagte der Innsbrucker Bischof, der in der Bischofskonferenz das Referat für Ehe und Familie leitet, am Freitag am Rande des Großereignisses im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress. Kirche solle Familien möglichst lebensnah begleiten, sie ermutigen, Hilfestellungen anbieten und Interesse an ihren konkreten Lebenssituationen zeigen.
Zumindest den Willen dafür habe die Eröffnungsveranstaltung des Treffens mit dem Papst am Mittwochabend bekundet - dass "Kirche dort sein muss, wo die Nöte der Menschen sind", wie Glettler sagte. Die Kirche solle "nicht von Idealvorstellungen ausgehen, sondern vom Leben, so wie es uns aktuell herausfordert", solle Menschen "ohne moralische Verurteilung annehmen, denn Gott sagt 'Ja' zu jedem Menschen. Also sagt die Kirche auch 'Ja'." Dabei kam Glettler auch auf die "Brüchigkeit von Beziehungen" zu sprechen, die heute "trotz großer Hoffnungen und bester Absichten größer denn je zu sein scheint". Ebenso beobachte er "Angst vor einer längerfristigen Bindung".
Dennoch verteidigte der Innsbrucker Bischof mit Nachdruck das Ehesakrament. Trotz des "schmerzhaften" Einbruchs, welchen die Corona-Pandemie für die kirchlichen Trauungen gebracht habe, werde die "Sehnsucht nach Beziehung, die dauerhaft in gegenseitigem Respekt gelebt wird, nicht schwächer", so Glettlers Überzeugung. Dasselbe gelte auch für die Sehnsucht nach gelingendem Familienleben, die bei jungen wie auch bei schon lange verheirateten Paaren ungebrochen sei. Besonders bei jungen Paaren nehme er einen stärkeren Willen wahr, "mehr auf die eigene Lebensqualität zu achten und in die Beziehung als Paar zu investieren".
Ehe viel mehr als nur Zeremonie
Für die Kirche laute die Frage, "wie wir den Menschen vermitteln können, dass ein lebendiger Glaube an Gott einen Unterschied für all unsere Beziehungen ausmacht", so der Bischof. Gott helfe dabei, "das Schöne des Lebens neu zu entdecken, aber auch das Unvollkommene anzunehmen. Genau das macht familiäres Leben für unsere gestylte Wohlstandsgesellschaft so kostbar". Zugleich sei eine "Neuentdeckung, was die Sakramentalität von Ehe ausmacht" wichtig. Es gehe dabei um viel mehr als nur um eine schöne Trauungszeremonie oder einen allgemeinen Segen, vielmehr sollten Paare "innerhalb der Kirche erleben: Ihr seid nicht allein!"
Deutlich gemacht habe dies beim aktuellen Weltfamilientreffen jenes kirchlich nicht verheiratete Paar, das bei der Kongress-Eröffnung gleich als zuerst gesprochen hatte, sagte der Bischof, der Teil der weiters aus fünf kirchlich engagierten Ehepaaren bestehenden österreichischen Delegation ist. Die beiden Eröffnungsredner seien erst durch die Taufe der Kinder langsam auf die Spur des Glaubens gekommen, die Aufnahme in einer Pfarre gestaltete sich dann jedoch schwierig. Glettler dazu: "Oft genügt es, wenn wir junge Paare ermutigen, 'Ja' zu ihrer inneren Stimme zu sagen, in der sich eine Sehnsucht nach Treue und Verlässlichkeit ausdrückt."
Kreativere Glaubensvermittlung
Die Kirche müsse ein "deutliches 'Ja' zur Unterstützung von jungen Familien" sagen und brauche zudem "mehr Kreativität, um den Schatz unseres Glaubens zugänglich zu machen", so Österreichs Familienbischof. Es gebe bereits viele pfarrliche Initiativen, die hier ansetzten, von Kleinkinder-Gruppen und Kinder- und Familiengottesdiensten bis hin zu Familienfesten, oder auch die Glaubensvermittlung im schulischen Religionsunterricht, in der Erstkommunion- und Firmvorbereitung. Nachhaltig seien diese Bemühungen erst, wenn es in den Familien "zumindest eine minimale Resonanz für den Glauben" gebe, bemerkte Glettler. Es sei unnütz, darüber zu klagen, dass hier viel Selbstverständliches weggebrochen sei, vielmehr seien angesagt: "Konkrete Hilfestellungen, Fördern, Ermutigen und mit Freude das Jetzt-Mögliche tun", betonte der Bischof.
Sowohl für die Gesellschaft als auch für die Kirche sei das Achten auf Familien notwendig, "um zukunftsfit zu bleiben", unterstrich Glettler. Die Pandemie habe die zahlreichen und vielfältigen Leistungen der Familien spürbar gemacht, die dennoch meist unbemerkt und unbedankt blieben. Familien seien "Lernorte der Menschlichkeit inmitten einer nervösen Zeit, und auch die wichtigsten Friedensschulen unserer Zeit. Wo sonst lernen Kinder und Erwachsene, andere Meinungen und Überzeugungen anzunehmen, auszuhalten - oft konträr zur eigenen Ansicht?" Auch der wichtigste "Lernort für ein versöhnliches Miteinander in einer pluralen Gesellschaft" sei die Familie.
Quelle: kathpress