
Papst beginnt in Quebec zweiten Teil seiner "Buß-Reise" in Kanada
Auf der zweiten Station seiner "Buß-Reise" nach Kanada hat der Papst seine Vergebungsbitte für kirchliches Unrecht an den Indigenen des Landes am Mittwochabend (Ortszeit) wiederholt. In das "von den damaligen Regierungsbehörden geförderte System" der Residential Schools seien "verschiedene örtliche katholische Einrichtungen miteinbezogen" gewesen, sagte Franziskus in einer längeren Ansprache vor Politikern, Indigenenvertretern und Diplomaten in Quebec. "Dafür", so der Papst, "bringe ich Beschämung und Schmerz zum Ausdruck und wiederhole gemeinsam mit den Bischöfen dieses Landes meine Bitte um Vergebung für das von vielen Christen an den indigenen Völkern begangene Übel."
Es sei "notwendig, die eigene Schuld einzugestehen" und sich gemeinsam für "legitime Rechte der indigenen Völker" einzusetzen sowie Heilung und Versöhnung zu fördern. Dazu gehöre die "Verpflichtung, auf die Appelle der Wahrheits- und Versöhnungskommission angemessen zu reagieren". Die kanadische Kommission in ihrem Abschlussbericht zu den Residential Schools 2015 gefordert, eine päpstliche Entschuldigungsbitte solle binnen eines Jahres erfolgen.
Darauf wies zuvor auch Kanadas Premierminister Justin Trudeau in seiner Rede hin. Zudem betonte er, es gehe um eine "Entschuldigung für die Rolle, die die römisch-katholische Kirche als Institution" gespielt habe. Die Diskussion um das Unrecht der Institution Kirche, nicht nur einzelner Mitglieder, beherrscht seit Tagen die Debatte um die Papstreise.
Trudeau wie Generalgouverneurin Mary Simon betonten mehrfach, die Papstreise sei "ohne den Mut und die Beharrlichkeit der Überlebenden nicht möglich gewesen". Trudeau dankte dem Papst für dessen Vergebungsbitte am Montag in Maskwacis; diese habe zweifellos "eine enorme Wirkung". Allerdings sei sie nur ein erster Schritt; weitere müssten folgen. Simon, selbst eine Inuk, ergänzte: "Sie und die katholische Kirche vereinigen sich mit uns auf unserer Reise zu Versöhnung und Heilung." Alle seien bereit, dem Papst zuzuhören; manche bereit zu vergeben, andere nicht.
Schon zum Auftakt seines Kanada-Besuchs am Montag hatte Papst Franziskus eine ausführliche Vergebungsbitte an Indigene gerichtet. "Ich bitte demütig um Vergebung für das Böse, das von so vielen Christen an den indigenen Bevölkerungen begangen wurde", sagte er vor Überlebenden früherer Residential Schools auf dem Gelände einer der größten dieser Internatsschulen in Maskwacis/Alberta.
Die teils sehr persönlich formulierte Ansprache in Maskwacis stieß auf gemischte Reaktionen: von Anerkennung und Dankbarkeit über Skepsis bis zu deutlicher Kritik. Zur Aufarbeitung kirchlichen Versagens fordern Indigenen-Vertreter noch weitere Schritte. Franziskus hat solche angedeutet, ohne jedoch konkreter zu werden.
Papst warnt vor neuer Kolonialisierung
In seiner Rede in Quebec am Mittwoch warnte der Papst außerdem vor neuer "ideologischer Kolonialisierung", die Traditionen, Geschichte und religiöse Bindungen der Völker zerstöre. Damit einher gehe "eine Mentalität, die in der Annahme, 'die dunklen Seiten der Geschichte' überwunden zu haben, jener 'cancel culture' Platz macht, die die Vergangenheit nur nach bestimmten aktuellen Kategorien bewertet".
Eine solche "kulturelle Mode" standardisiere und mache alles gleich, warnte Franziskus. Zudem konzentriere sie sich auf "Bedürfnisse und Rechte des Einzelnen" und vernachlässige Pflichten gegenüber Schwachen und Zerbrechlichen.
Indigene Völker, so der Papst, hätten viel "über die Pflege und den Schutz der Familie zu lehren". "Möge das Übel, das die indigenen Völker erlitten haben, uns heute als Warnung dienen", damit die Sorge um Familien und deren Rechte "nicht im Namen irgendwelcher Produktionsbedürfnisse und individueller Interessen vernachlässigt werden".
In seiner langen Ansprache kritisierte Franziskus kritisierte bei seinem Treffen mit Trudeau auch die ungleiche Verteilung von Wohlstand. "Es ist ein Skandal, dass der durch die wirtschaftliche Entwicklung geschaffene Wohlstand nicht allen Teilen der Gesellschaft zugutekommt", sagte der Papst. Dies gelte auch für Kanada, das der sozialen Fürsorge viel Aufmerksamkeit widme. Vor allem unter den Indigenen gebe es große Armut, gab Franziskus zu bedenken. Diese gehe oft mit anderen "negativen Indikatoren" einher, wie eine geringere Schulbildung sowie ein erschwerter Zugang zu Wohnraum und Gesundheitsversorgung.
Gespräch mit Indigenen-Vertretern
Nach seiner Ankunft in Quebec war Franziskus von Generalgouverneurin Mary Simon zu einem Höflichkeitsbesuch empfangen worden. Sie ist Angehörige der Inuit. Anschließend traf der Papst Premierminister Trudeau zu einem knapp halbstündigen Gespräch. Auch setzte er sich erneut mit führenden Vertretern indigener Völker zu einem persönlichen Gespräch zusammen.
Wegen der Verspätung eines Fluges mit anreisenden Indigenen-Vertretern begann das Programm eine Stunde später als vorgesehen. Vor den offiziellen Ansprachen wurde der Kinder gedacht, die während ihrer Zeit in den Residential Schools starben. Eine Inuit entzündete in einem traditionellen Ritual eine Lampe, damit Licht und Wärme in den Raum einziehen könne. Ein weiterer Indigener, der mit seinem Rollator vor den im Rollstuhl sitzenden Papst trat, überreichte dem Kirchenoberhaupt vier Federn, die nach indigener Tradition nicht nur die vier Himmelrichtungen abbilden, sondern auch für ein indigenes Reinigungsritual für die Seele stehen.
Messe in Wallfahrtsort am Donnerstag
Mit Quebec ist der Papst nun an dem Ort, von dem aus der Kolonialismus in Kanada seinen Ausgang nahm. Vom nordamerikanischen "Neufrankreich" strömten katholische Missionare in die "Neue Welt". Ordensleute etwa der Franziskaner, Ursulinen oder Johanniter gründeten Schulen, richteten Krankenhäuser ein und eröffneten Seminare.
Bis heute ist die französischsprachige Provinz Hochburg kanadischer Katholiken. Franziskus' Fahrt vom Flughafen in die Stadt wurde von vielen Menschen am Straßenrand begleitet, die Vatikan-Fahnen schwenkten.
Am Donnerstag wird Papst Franziskus vormittags (Ortszeit; 16.00 Uhr MESZ) eine Messe in Sainte-Anne-de-Beaupre, 30 Kilometer nordwestlich von Quebec, vorgesehen. Der Wallfahrtsort am Ufer des Sankt-Lorenz-Stroms gilt als ältester in Nordamerika. Nachmittags trifft der Papst in der Kathedrale von Quebec Bischöfe, Priester, Ordensleute und andere kirchliche Mitarbeiter.
Zum Abschluss seiner sechstägigen Kanada-Reise kommt der Papst am Freitag nach Iqaluit am Nordpolarmeer. Franziskus wird dort weitere ehemalige Schülerinnen und Schülern aus Residential Schools treffen. Auch eine Begegnung mit der Jugend und Indigenen-Ältesten ist vorgesehen.
Quelle: kathpress