
Vergebungsbitte des Papstes in Kanada stößt auf geteiltes Echo
Murray Sinclair ist ein bekannter Mann. Der ehemalige Senator von Manitoba gehört der indigenen Nation der Anishinaabe an und führte die kanadische Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC), die 2015 nach hunderten Anhörungen einen Bericht zur Zwangsassimilierung der indigenen Bevölkerung in Internatsschulen vorgelegt hatte. Der einflussreiche Report der Kommission prägte den Begriff des "kulturellen Genozids" - und wies den christlichen Kirchen Kanadas dafür eine Mitverantwortung zu.
Insofern hat es Gewicht, wenn sich der 71-Jährige mit dem indigenen Namen "Mizhana Gheezhik" (dt. "Der von Bildern im Himmel spricht") zum Besuch des Oberhaupts der katholischen Kirche in Kanada einlässt. Erst recht, wenn er das tut, während Papst Franziskus öffentlich die heilige Messe feiert.
"Trotz der historischen Entschuldigung hat die Erklärung des Heiligen Vaters ein tiefes Loch bei der Anerkennung der vollen Rolle der Kirche im Internatsschulsystem gelassen, indem er die Schuld einzelnen Mitgliedern der Kirche zuwies", kritisierte Sinclair das "Mea Culpa" des Papstes. Und weiter: "Das waren mehr als die Worte von ein paar schlechten Akteuren", erklärte der ehemalige TRC-Vorsitzende. "Das war der konzertierte Versuch einer Institution, Kinder ihren Familien und Kulturen wegzunehmen im Namen christlicher Vorherrschaft."
Ähnlich sieht es der ehemalige Abgeordnete der New Democrats, Romeo Saganash, der in einer Cree-Familie im Norden von Quebec aufwuchs. Sein ältester Bruder John musste 1954 als Fünfjähriger in eine "Residential School". Ein Jahr später verstarb er aus unbekannten Gründen. Es dauerte vier Jahrzehnte, bis seine Familie von der letzten Ruhestätte auf einem Friedhof der Internatsschule erfuhr. Eines von rund 4.000 indigenen Kindern, die den Besuch einer "Residential School" in Kanada nicht überlebten - die Dunkelziffer könnte deutlich höher sein.
Romeos Familie sorgte dafür, dass der Name von Bruder John auf dem roten Gedenkbanner stand, das der Papst am Montag zu Beginn seiner Reise küsste. Die Reue reicht ihm nicht, sagt Romeo, weil Franziskus in Kanada nicht mehr gesagt habe als zuvor schon in Rom. Die Verantwortlichen für das Unrecht seien nicht bloß ein paar faule Äpfel in einem Korb gesunder Früchte. "Er hat den Nerv, nach Kanada zu reisen und dasselbe hier zu wiederholen."
Sinclair verweist auf die Empfehlung Nummer 58 von insgesamt 94 Aktionspunkten im Abschlussbericht seiner Kommission. Darin wird die Erwartung einer Entschuldigung des Papstes "für die Rolle der katholischen Kirche beim spirituellen, kulturellen, emotionalen, physischen und sexuellen Missbrauch der First-Nations-, Inuit- und Metis-Kinder" formuliert. Diese sollte sich an der Entschuldigung der Kirche für die irischen Missbrauchsopfer durch katholische Priester aus dem Jahr 2010 orientieren.
Für das Leid der binnen hundert Jahren insgesamt etwa 150.000 betroffenen Kinder seien nicht einige wenige, sondern die Kirche als Ganzes verantwortlich. Sinclair betont, die Kirche sei beim Internatssystem für Indigene "nicht nur ein Agent des Staates" gewesen. Sie habe die Regierungen im vergangenen Jahrhundert sogar gedrängt, die Assimilierung voranzutreiben und damit einen "kulturellen Völkermord" begangen. Die Kirche habe nicht nur mit dem Staat zusammengearbeitet, sondern ihn "angestiftet".
Entschuldigungsbitte war "laut und klar"
Häuptling George Arcand Jr. von der "Alexander First Nation" äußerte sich versöhnlicher. Franziskus habe "Anstand bewiesen" und zudem die Fähigkeit, seine Kirche zu einer Veränderung zu führen. Aber dies werde nicht von heute auf morgen geschehen. "Einen so großen Tanker zu wenden, ist eine Herausforderung", sagte der Häuptling dem "Toronto Star". Die Betroffenen müssten in diesem Prozess ihrerseits die Zielmarken verschieben.
Die Entschuldigungsbitte Franziskus' sei "laut und klar" zu vernehmen gewesen, aber es fehlten belastbare Vereinbarungen und konkrete Schritte, um die Versöhnung voranzubringen, so Arcand Jr. Der größte Fehler der Indigenen in ihrer Geschichte mit den Kolonialisten sei es gewesen, leichtfertig "zu vergeben", wenn ihnen Unrecht geschehen war.
Sinclair fordert unterdessen Hilfen der Kirche für Wiederherstellung der zerstörten Kultur und Traditionen der indigenen Völker. "Versöhnung setzt Handeln voraus", mahnt er.
Quelle: kathpress