Elbs: "Lehrerin der Einfühlung" Edith Stein ist Vorbild in Krise
Einfühlung und Mitgefühl könnten der Welt "eine menschlichere und gerechtere Gestalt geben". Die Heilige und Patronin Europas Edith Stein, die eine Doktorarbeit "Zum Problem der Einfühlung" verfasste, könne in dieser Hinsicht auch heute - 80 Jahre nach ihrem Märtyrerinnentod im NS-Regime, viele Impulse geben, wie der Feldkircher Bischof Benno Elbs betonte. In einem Beitrag unter dem Titel "Lehrerin der Einfühlung" in den "Vorarlberger Nachrichten" (Samstag) erinnerte er an die am 9. August 1942 im KZ Auschwitz ermordete Ordensfrau und Denkerin jüdischer Herkunft, die nach der Einstufung als "onbruikbaar" (dt.: unbrauchbar, ungültig) durch niederländische Behörden von den Nazis verhaftet wurde.
Einfühlung trifft nach Einschätzung des Bischofs einen Nerv auch unserer Zeit. Elbs erinnerte dazu an ein Wort des Allroundkünstlers André Heller: "Die Weltmuttersprache ist das Mitgefühl." Elbs teilt diese Ansicht: "Nichts scheint mir angesichts unserer angespannten Weltlage wichtiger zu sein als das: Verständnis zeigen, einander helfen, das Verbindende suchen, Gemeinschaft stärken, Vertrauen gewinnen."
Einfühlung sei laut der 1922 im Alter von 30 Jahren durch die Taufe in die katholische Kirche aufgenommenen und 1933 in den Orden der Unbeschuhten Karmelitinnen eingetretenen Denkerin mehr als die Fähigkeit, sich in einen Menschen hineinzudenken, wies der Bischof hin. Durch Einfühlung gerate der Mitmensch vielmehr in seiner ganzen Persönlichkeit in den Blick: "sein Schmerz und seine Angst, seine Freude und Kränkungen, sein Glücklich- und Traurigsein". Laut Edith Stein sei es darum gegangen, ein "Meister des Verstehens" zu werden, Grenzen zu überwinden und den Menschen als Mitmenschen in seiner Würde und mit seinen Werten wahrzunehmen. "Einfühlen wird so zum Mitfühlen, das heißt zu einem Akt der Liebe, der das eigene Herz öffnet für die Bedürfnisse der Schwachen und Leidenden", erklärte Elbs.
Hochbegabt und "unbrauchbar"
Der Bischof ging in den "Vorarlberger Nachrichten" auf die dramatischen Lebensumstände der 1998 heiliggesprochenen Philosophin ein. Ihre durch das Wort "unbrauchbar" ungültig gewordene Aufenthaltsgenehmigung, die der Ordensfrau den Aufenthalt in einem Kloster in Holland ermöglichen sollte, in das sie vor den Nazis geflüchtet war, habe ihr Schicksal besiegelt. Diese buchstäbliche Abstempelung "spricht Bände", schrieb der Feldkircher Bischof. "In einer Zeit, in der Nächstenliebe, Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenrechte nichts zählen, ist auch für das Leben, Denken und Glauben einer großen jüdisch-christlichen Intellektuellen und Gottsucherin kein Platz."
Edith Steins Weg in einen Orden sei keinesfalls vorgezeichnet gewesen. 1891 in Breslau als Tochter einer jüdischen Familie geboren, ging es ihr als Heranwachsender in puncto Religion nicht anders als vielen Menschen heute, so Elbs: "An Gott zu glauben, fiel ihr nicht leicht." Sie sei auf Distanz zu ihrem jüdischen Glauben gegangen und habe sich dem Atheismus zugeneigt. Als hochbegabte Philosophin mit einem "messerscharfen Intellekt" sei sie als Frau benachteiligt worden. "Das Leben der eifrigen Leserin auf den Kopf stellen sollte jedoch nicht ein Werk der Philosophie, sondern die Lebensbeschreibung der spanischen Karmelitin Teresa von Avila", so Elbs. Dieses Buch habe ihrem Leben eine unvorhergesehene Wendung gegeben.
Quelle: kathpress