Scheuer: Europa braucht neue Ziele und Besinnung auf alte Wurzeln
Europa braucht neue Ziele und Orientierung und muss sich dabei auf seine alten Wurzeln wieder besinnen. Davon hat sich der Linzer Bischof Manfred Scheuer überzeugt gezeigt. Er feierte mit den Teilnehmern der "Pro Scientia"-Sommerakademie im niederösterreichischen Horn am Montag einen Gottesdienst. In seiner Predigt skizzierte der Bischof Leitlinien einer erneuerten europäischen Identität. Bischof Scheuer ist für das österreichische Studienförderungsnetzwerk "Pro Scientia" innerhalb der Bischofskonferenz der zuständige Referatsbischof.
Zur europäischen Idee gehörten die griechische Philosophie und das römische Recht, der jüdisch-christliche Gottesglaube sowie Humanismus und Aufklärung, die Werte der freiheitlichen Verfassungstradition wie auch die europäische Kultur, Musik und Literatur, sagte Bischof Scheuer. In den letzten Jahren seien freilich gegenteilige Kräfte stärker geworden, warnte er. Die Heterogenität der Postmoderne stehe in unauflösbarer Spannung zu den "großen gemeinsamen Erzählungen" Europas, Athen (Vernunft) werde gegen Jerusalem (Jüdisch-christliche Offenbarung) ausgespielt, die Wirtschaft spalte sich von der Ethik und von der Kultur ab, Politik als "Streben nach Machtanteilen" löse sich vom Recht und von der Gerechtigkeit, Demokratie scheine nur noch in einem radikalen Laizismus möglich zu sein.
Wie Bischof Scheuer kritisierte, zeichne sich unter anderem eine deutliche Tendenz des Europäischen Gerichtshofes ab, Religionen nicht zu fördern oder sogar aus der Öffentlichkeit zu verdrängen; etwa durch die stärkere Betonung der negativen Religionsfreiheit gegenüber der positiven Religionsfreiheit. Damit könnte sich aber eine auf Wertressourcen angewiesene europäische Solidargemeinschaft das eigene normative Wasser abgraben, warnte der Bischof, der appellierte: "Es stünde der EU gut an, die Religionsgemeinschaften als zivilgesellschaftliche Akteure mehr anzuerkennen und stärker zu fördern als es bisher der Fall ist."
Der Linzer Bischof verwies auch auf Papst Franziskus und dessen Rede vor dem Europaparlament 2014. Europa und seine Geschichte bestünden laut dem römischen Pontifex aus der fortwährenden Begegnung zwischen Himmel und Erde, wobei der Himmel die Öffnung zum Transzendenten, zu Gott beschreibt, die den europäischen Menschen immer gekennzeichnet hat, und die Erde seine praktische und konkrete Fähigkeit darstellt, die Situationen und Probleme anzugehen. Die Zukunft Europas hänge von der Wiederentdeckung der lebendigen und untrennbaren Verknüpfung dieser beiden Elemente ab, so der Papst. Ein Europa, das nicht mehr fähig sei, sich der transzendenten Dimension des Lebens zu öffnen, sei ein Europa, "das in Gefahr gerät, allmählich seine Seele zu verlieren und auch jenen 'humanistischen Geist', den es doch liebt und verteidigt", zitierte Scheuer Papst Franziskus.
"Vielfalt bewusst zulassen"
Der Linzer Bischof zeigte sich überzeugt, dass eine europäische Einigung und Einheit nur zu schaffen sei, "wenn wir die Vielfalt bewusst zulassen". Die Einheit Europas und Einigungsprozesse bzw. Fragen der Kompetenzverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedsstaaten seien von dem der katholischen Soziallehre entspringenden Subsidiaritätsprinzip zu deuten und zu lösen. Es gebe Bereiche, die nicht ungestraft zentralisiert werden können. Es wäre auf Dauer aber auch fatal, wenn etwa Ökologie bloß der Beliebigkeit der einzelnen Staaten überlassen würde, warnte der Bischof: "Es ist eine europäische Aufgabe, eine grenzüberschreitende Umweltpolitik zu gestalten, auch Bildung und Forschung brauchen ein gemeinsames Planen."
Wäre Europa nur das Feld der Lobbys mit dem Durchsetzen von nationalen, politischen und ökonomischen Eigeninteressen, "würde sich Europa schnell wieder in den alten nationalen Konflikten wiederfinden und das Friedensprojekt, zu dem es keine Alternative gibt, verabschieden". Die Friedenssicherung sei eine dauernde Aufgabe, die gemeinsame Anstrengungen verlangt. Auch Arbeitsplätze und wirtschaftlicher Wohlstand seien nicht automatisch gesichert, so der Bischof. Nachsatz: "Das wissen wir inzwischen nur zu gut." Weiters sprach sich Scheuer auch dafür aus, dass europäische Gesetze vor ihrer Verabschiedung auf ihre Sozialverträglichkeit hin getestet werden sollten.
Scheuers Fazit: Europa brauche neue "Ziele, Perspektiven, Orientierungen, braucht einen normativen Horizont, braucht ein neues Ethos, eine neue Sinnbegründung".
Quelle: kathpress