Bischof Glettler im Interview
"Irgendwann braucht es eine Entscheidung für Christus"
Bischof Glettler im Interview
"Irgendwann braucht es eine Entscheidung für Christus"
Keinen Grund zur Resignation in der Kirche sieht der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler. Im Interview mit der Wochenzeitung "Die Tagespost" nimmt der Bischof zur aktuellen Lage der Kirche Stellung und skizziert seine Vorstellungen, wie er die Menschen wieder neugierig auf das Evangelium machen will. Mit Strukturreformen allein könne man keine Glaubensvertiefung bewirken, so der Bischof: "Christsein ist doch mehr als Brauchtum oder eine schöne Theorie zur Weltverbesserung. Irgendwann braucht es eine Entscheidung für Christus - sobald man von ihm ergriffen wurde. Dann erst beginnt eine ernsthafte Beziehung."
Auf den Relevanzverlust der Kirche angesprochen, meinte der Bischof: "Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir uns selbst in ein Gartenzwerg-Format hineindebattieren. Zwischen einer grotesken Selbstüberschätzung und einem demütigen Selbstbewusstsein liegt eine ordentliche Spannbreite." Salz und Licht zu sein, gehe nicht von Quantitäten aus. "Wenn die Menschen den Herzschlag des Evangeliums spüren, werden sie neugierig", so Bischof Glettler: "Woher bekommt eine säkulare Gesellschaft die nötige Zuversicht, um die anstehenden Probleme meistern zu können? Insofern ist jetzt eine gute Zeit für uns als Kirche."
Der Bischof warnte vor einer "gefährlichen Verklärung der Vergangenheit". Die Suche nach dem, was falsch lief, führe nicht selten zum Benennen von Schuldigen. Kirchendiskussionen dieser Art würden aber viel Energie absaugen. Glettler: "Neben den beklagenswerten Verlusten bemerke ich eine neue Nachdenklichkeit. Seelsorge hat einen wichtigen Stellenwert bekommen. Vielen ist klar geworden, dass wir viel verwundbarer sind, als wir uns eingebildet haben. Übersehen wir bitte nicht, dass es neben der Kirchenkrise viele andere Erschütterungen in unserer säkularen Gesellschaft gibt."
Von der Weltkirche könne man einiges an Frische und Authentizität lernen, betonte der Bischof. Aber: "Nicht alles, was religiös tickt, ist mir sympathisch. In den USA gibt es eine religiöse, fast messianische Aufladung der Politik, um nur ein problematisches Beispiel zu nennen."'
Selbstkritisch merkte Bischof Glettler aber auch an: "Vielleicht sind wir selbst viel gottloser, als wir denken. Wer lässt sich denn von Gott stören? Haben wir nicht unsere fertigen Rezepte und Antworten?" Auch scheine ihm die enorme Empörungsbereitschaft der gegenwärtigen Zeit ein Hinweis zu sein, "dass etwas Wesentliches fehlt. Menschen sind mit sich und der Welt nicht im Frieden."
"Mehr ausprobieren, mehr riskieren"
Der Bischof verwies im "Tagespost"-Interview auf Kardinal Leo Suenens. Dieser habe schon 1978 gewarnt, "dass wir Menschen 'sakramentalisieren ohne sie zu evangelisieren'". Damit habe er einen wunden Punkt benannt, der heute noch aktuell sei. Nicht nur in der Hochblüte der Volkskirche wurde zu wenig auf die persönliche Aneignung des Glaubens geachtet, betonte der Bischof.
Alles so erhalten oder wiederherstellen zu wollen, wie es einmal war, könne zudem auch ein Ausdruck von Unglauben sein. "Man traut Gott nicht zu, dass er mit uns schöpferisch unterwegs ist." Der Bischof verwies auf die Überschrift des Arbeitsdokuments zum Synodalen Prozesses: "Das Zelt weiten!" Dieses Motto gefalle ihm, so Glettler: "Niemand zwingt uns, die aktuelle Kirchenkrise krankhaft zu zelebrieren. Vielleicht sollten wir mit dem Geschenk des Glaubens kreativer, durchaus auch unternehmerischer umgehen - mehr ausprobieren, mehr riskieren. Entscheidend ist in unserer nervösen Zeit das persönliche Zeugnis von Menschen. Durch die aktuelle Krise hindurch können wir zu einer neuen, tieferen Spiritualität kommen." Es brauche dazu aber auch Glaubenskurse, damit Menschen das Alphabet des christlichen Glaubens erlernen können und religiös wieder sprachfähig werden.
Es geht ihm letztlich darum, so Bischof Glettler, Gläubige und Pfarren so zu stärken, dass sie ihre Mission vor Ort neu wahrnehmen können. Nachsatz: "Und wenn es nur ganz kleine Schritte sind, um von einer lähmenden Nostalgie oder Resignation wegzukommen." Als Bischof müsse er zudem auch die innerkirchliche Bandbreite unterschiedlichster Positionen zusammenhalten. "Das ist kein leichter Job!" Pluralitätsfitness sei gefragt. "Wir dürfen uns nicht gegenseitig das Katholisch-sein absprechen", betonte der Bischof.
Aufbau von kleinen "Weggemeinschaften"
Zur Frage, ob die derzeitige Kirchenstruktur noch angemessen sei, meinte der Bischof, dass es das territoriale Prinzip der Pfarrei grundsätzlich nicht aufgeben wolle. Aber wo die Grundvollzüge aus Personalmangel oder aufgrund fehlender Gläubiger nicht mehr möglich sind, müsse man größere Einheiten schaffen. Alle Diözesen versuchten ihre eigenen Strukturanpassungen, mehr oder weniger erfolgreich. Klar sei freilich, "dass davon kein neues geistliches Leben zu erwarten ist". Vielerorts gebe es diesbezüglich Enttäuschungen. Strukturreformen schafften Rahmenbedingungen, könnten aber keinen Glauben aufwecken.
In Tirol halte er an der Struktur von 70 Seelsorgeräumen fest, wie sie vor 15 Jahren beschlossen wurde. Glettler: "Selbst wenn Priester nicht mehr die Leitungsfunktion wahrnehmen können, möchte ich keine größeren Einheiten. Als Kuratoren dieser pastoralen Räume beauftrage ich in Zukunft dafür ausgebildete Laien."
Wichtig sei, "dass wir, ob Laien oder Priester, Menschen geistlich befähigen, damit sie zu Seelsorgenden werden". Mit diesem Ziel habe man in der Diözese Innsbruck mit kleinen "Weggemeinschaften" begonnen. Das seien Gruppen vor Ort, die sich vierzehntägig zum Lesen des Evangeliums, zum Fürbittgebet und zur Ermutigung für ein soziales Engagement treffen.
"Dein Herz ist gefragt "
Die im Interview angesprochenen Themen beschäftigen den Bischof auch in seinem neuen Buch "Dein Herz ist gefragt - Spirituelle Orientierung in nervöser Zeit". Darüber berichtete er u.a. dieser Tage bei einer Podiumsdiskussion in der Wiener Akademie für Evangelisation. Er habe das Buch "in die Nervosität unserer Zeit hineingeschrieben", so Glettler. Das Herz sei ein "Superorgan", welches zum Staunen verleite. Das Herz sei in vielem auch das zentrale Kommunikationsorgan: "Es ist ein Marktplatz, wo alles verhandelt wird." Das Herz sei auch wie ein Bahnhof, es gebe im Herzen Ruhezonen und Stress, alle Züge kämen dort zusammen.
Der biblische Befund sei, dass dieses Herz den Menschen ausmache. "Es kommt 800 bis 900 Mal in der Bibel vor." Wenn dieses Herz wieder zur Ruhe komme, "können wir einen Beitrag zur friedlichen Gestaltung der Welt leisten".
Gemeinsam mit Bischof Glettler bestritt die ORF-Journalistin Claudia Reiterer das Podium. Sie erinnerte sich an ihren ersten Brotberuf als Krankenschwester in der Herzchirurgie. "Das Herz hat mich immer fasziniert, von klein auf." Reiterer betonte, "dass wir in einer 'Pandemie Burn Out'-Situation sind". Die Stimmung sei auf allen Ebenen extrem aggressiv. Die Auswirkungen von mehr als zwei Jahren Pandemie könnten nicht einfach weggewischt werden: "Wir sind erschöpft." Das liege daran, dass es in dieser Zeit genau das nicht gegeben habe, was die Menschen ausmache: "Kommunizieren, einander anschauen, miteinander reden."
Das Beschimpfen und der Hass seien so stark geworden, dass sie sich persönlich frage, wie lange sie sich ihren Job noch antun wolle. "Diesen Hass nicht persönlich zu nehmen, ist sehr schwer." Er entlade sich schon bei den Einladungen zur ORF-Sendung "Im Zentrum". Seit vielen Jahren arbeite sie mit einem Mentalcoach. Vor der Sendung ziehe sie ein mentales "Eisenhemd" über und benutze andere mentale Reglements, "damit das nicht so an mein Herz geht".
"Die Kunst des Zuhörens"
"Wir durchschauen die Komplexität vieler Entwicklungen nicht mehr und wünschen uns deswegen jemand, der mit starker Hand durchgreift", sagte Bischof Glettler. Gleichzeitig würden viele Politiker suggerieren, klare Lösungen für alle Probleme zu haben. "Die Politik tritt immer öfter messianisch und kurzsichtig auf", kritisierte der Bischof.
Was also tun? Claudia Reiterer pochte auf "die Kunst des Zuhörens". Denn "die Menschen halten es nicht aus, zuzuhören". Es gehe aber nicht darum, den anderen zu überzeugen, sondern ihn zu verstehen. Nur so könne man zu Lösungen kommen.
"Entscheidend ist dabei immer die Begegnung", ergänzte Bischof Glettler, "und zwar ohne zu verurteilen." Gerade das Beispiel Jesu zeige, dass richtig verstandene Barmherzigkeit den Raum schaffe, der es erlaube, Fehler zuzugeben. Es brauche "eine neue Fehlerkultur, in der wir unsere Schwächen und Wunden zeigen dürfen".
Quelle: Kathpress