EU-Ziel zur Kinderbetreuung: Familienverband skeptisch
Der Katholische Familienverband Österreichs (KFÖ) stellt das "Barcelona-Ziel" zur Kleinkindbetreuung zur Debatte: Geht es nach dem Willen der Europäischen Kommission, soll bis zum Jahr 2030 jedes zweite Kind unter drei Jahren fremdbetreut werden. Damit soll jungen Eltern ein besserer Zugang zu einer Erwerbstätigkeit ermöglicht und gleichzeitig Geschlechtergleichstellung gefördert werden. In der KFÖ-Mitgliederzeitung "ehe und familien" nehmen nun AMS-Vorstand Johannes Kopf und die Kindergartenleiterin Naomi Matthews dazu in einem Pro und Contra Stellung. In der Aussendung zur Causa am Dienstag äußern sich auch Arbeitsrechtler Wolfgang Mazal und KFÖ-Präsident Alfred Trendl - und zwar skeptisch.
Der Europäische Rat hatte vor bereits 20 Jahren mit dem Barcelona-Ziel beschlossen, dass 33 Prozent der Kinder unter drei Jahren und 90 Prozent der Kinder über drei Jahren eine Kinderbetreuungseinrichtung besuchen sollen. Dieses Ziel soll bis 2030 deutlich erhöht werden. Begrüßt wird das von AMS-Chef Kopf in der aktuellen Ausgabe von "ehe und familien": "Wir wissen, dass in Österreich 11.000 Frauen mit Betreuungspflichten für Kinder bis zwei Jahre mehr arbeiten wollen würden, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Bei Frauen mit Betreuungspflichten für Kinder zwischen drei und fünf sind es sogar 15.000." Daher plädiert Kopf - nicht zuletzt wegen des Arbeitskräftemangels - für ganztägige, ganzjährige, flächendeckende, qualitätsvolle und leistbare Kinderbetreuungsangebote.
Keine inhaltlichen, aber strukturelle Bedenken zum EU-Vorschlag äußerte Naomi Matthews, pädagogische Leiterin eines Kindergartens in Klagenfurt: "Aktuell muss zuerst die massiv angespannte Lage in Kinderbildungs- und Betreuungseinrichtungen deeskaliert werden; erst dann kann schrittweise am Erreichen der Barcelona-Ziele und somit am Ausbau der Kinderbildungs- und Betreuungseinrichtungen gearbeitet werden", sieht sie vor allem in der praktischen Umsetzung Schwierigkeiten. Laut Matthews stehe das elementarpädagogische Fachpersonal "kurz vor dem Kollaps". Solange dieser gesellschaftlich wichtige Sektor "so minderwertig abgespeist" werde, sei das Erreichen der EU-Vorgaben eine Illusion.
Kritik an Berechnungsgrundlage
Kritik an der Berechnungsgrundlage für das Barcelona-Ziel übte laut der Familienverbandsaussendung Wolfgang Mazal, Leiter des Österreichischen Instituts für Familienforschung und Präsident des Katholischen Laienrates, bei einer Fachtagung über "20 Jahre Kinderbetreuungsgeld" in Wien. "Im Barcelona-Beschluss steht, dass entsprechend der jeweiligen regionalen Versorgungsmuster die Betreuung zu erbringen ist. In anderen Ländern sind Großeltern und Tageseltern in der Erreichungsquote für das Barcelona-Ziel enthalten, in Österreich nicht", kritisierte der am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Uni Wien lehrende Experte.
Darum fordert der Katholische Familienverband, dass auch die Betreuung durch Großeltern, Leihgroßeltern oder familienergänzende Betreuungsformen wie Tageseltern in die österreichische Quote für das Erreichen des Barcelona-Zieles eingerechnet werden. Verbandspräsident Trendl stellte klar: "Die Barcelona-Ziele der EU sind eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme, diese werden in Österreich als familienpolitische Ziele völlig missverstanden." Es gehe um wirtschaftliche Interessen. "Das Kindeswohl und die Entwicklung des Kindes spielen beim Barcelona-Ziel keine Rolle", hieß es in der Mitgliederzeitung.
Die Skepsis im Katholischen Familienverband über die Erhöhung der EU-Zielvorgabe unterstrich die "ehe und familien"-Redaktion mit folgenden Zahlen: Österreichweit würden aktuell 92,6 Prozent der 3- bis 6-Jährigen in Kindergärten betreut; damit sei das 90-Prozent-Ziel erreicht. Bei den jüngeren Kindern liege diese Quote mit 27,6 Prozent nur wenig unter dem 33-Prozent-Ziel der EU.
(Link: www.familie.at/proundcontra)
Quelle: kathpress