Glettler: Flüchtlings-Integration braucht Förderung von Beginn an
"Mehr Herzblut" der gesamten Gesellschaft für die Integration von Asylsuchenden von Anfang an und auch mehr politische Entschlossenheit dafür fordert Bischof Hermann Glettler. Er sei "überzeugt, dass Integration gelingen kann", sofern allen Beteiligten diese als Lernprozess sähen und Konflikte gewaltfrei lösten, schreibt der Bischof im Buch "So schaffen wir das - wie wir das Thema Asyl & Migration dem linken und rechten Rand abnehmen und die Krise überwinden" von Othmar Karas, Erster Vizepräsident des EU-Parlaments, sowie der Wiener Migrationsforscherin Judith Kohlenberger. Der Bischof reflektiert in seinem Beitrag ausführlich eigene langjährige Erfahrungen in der Sozial- und Integrationsarbeit.
Besonders auf seine frühere Zeit als Pfarrer von Graz-St. Andrä von 1999 bis 2016 verweist der nunmehrige Innsbrucker Oberhirte. Mit zahlreichen Aktionen habe die dortige katholische Gemeinde versucht, Menschen Heimat zu geben, und einiges davon sei gelungen. Glettler berichtet hier etwa vom weiter bestehenden "Internationalen Frauentreff", bei dem sich Christinnen und Musliminnen kennenlernen und einander in verschiedensten Lebensbereichen coachen. Auch Österreichs erstes Caritas-Lerncafe - Ehrenamtliche betreuen dort Kinder mit Migrationshintergrund - entstand in St. Andrä. Als Tiroler Initiativen nennt der Bischof das Integrations- und Patenschaftsprojekt "Buddy" der Caritas oder die Öffnung des Friedhofs Reutte für Muslime.
Integration sei ein "Dauerauftrag", erklärt der Bischof mit Blick auf derzeit wieder steigende Asylantragszahlen. "Wenn er aktiv wahrgenommen wird, trägt er zur Verbesserung der Lebensqualität in einem Land bei und eröffnet zahlreiche ökonomische, soziale und kulturelle Perspektiven." Dabei müsse Integration "von Anfang an und ohne Bruchstellen erfolgen", so Glettlers erste These: Die Momente des Ankommens seien besonders sensibel und prägten den gesamten weiteren Integrationsprozess - "positiv oder negativ. Eine grundsätzliche menschliche Wertschätzung kann ungeahnte Lebenskräfte freilegen. Ebenso sind ablehnende und diskriminierende Anfangserfahrungen nachhaltige Erschwernisse für eine zukünftige Integration."
Rechte und Pflichten
Investitionen in rechtzeitige und qualitätsvolle Integration seien "bestens angelegtes Geld", unterstreicht der Innsbrucker Bischof. Dazu gehörten u.a. verfügbare, kostenlose und qualitätsvolle Sprachkurse, Angebote gemeinsamen Lernens für Kinder sowie Integrationsfachkräfte an Schulen. Die extremen Einschränkungen der Arbeitsmöglichkeiten für Asylwerbende sollten aufgehoben werden, um diese Gruppe nicht als Empfänger finanzieller Hilfe des Staates zu degradieren und sie zu aktiven Mitgestaltern ihres eigenen Lebensunterhalts machen. Qualifikationen aus dem Ausland sollten rasch anerkannt, Anreize für Arbeitgeber zur Anstellung gegeben und die laufende Lehrausbildung als Grund für den Verbleib in Österreich anerkannt werden. Weiters mahnt Glettler, "dass humanitäres Bleiberecht kein totes Recht sein darf".
Klar müsse allerdings auch sein, dass mit den Rechten Verpflichtungen verbunden seien, so Glettler weiter. Bringschuld von Migranten sei etwa, im Verhalten Rücksicht auf die Kultur und Lebensweisen des Aufnahmelandes zu nehmen, zum Deutschlernen bereit zu sein und Menschenrechte, Demokratie, Religionsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und die gleichberechtigte Stellung von Mann und Frau anzuerkennen. Diese Grundhaltung des gegenseitigen Respekts stelle die "Hausordnung" dar, an die es sich zuhalten gelte.
Zwischenmenschliches am wichtigsten
Auch die Pfarren nahm der Bischof in die Pflicht. Sie seien - ebenso wie das Dorf, die politischen Gemeinden, Fußballvereine und Musikkapellen - wichtige Beziehungsnetzwerke. Kontakte mit Freiwilligen oder Initiativen wie etwa Begegnungsfeste hätten für das "Ankommen in unserem Kulturkreis" immensen Wert, denn: "Integration findet zuerst und zuletzt auf der zwischenmenschlichen Ebene statt", so Glettler. Immer handle es sich bei gelungenen Integrationsbeispiele um jene Menschen, "die von Anfang an mit großer sozialer Aufmerksamkeit in unserer Gesellschaft aufgenommen wurden".
Nicht als Zufall sieht der Bischof, dass gut integrierte Migranten oftmals "von christlichen Wertvorstellungen und Lebenshaltungen inspiriert, geleitet und gestärkt worden" seien. Trotz der schon weit fortgeschrittenen Säkularisierung Europas sei der gesellschaftliche Grundkonsens weiterhin von religiösen, hierzulande insbesondere christlichen Werten und Traditionen geprägt. Glettler: "Christliche Spiritualität ist ein klares Bekenntnis zum Schutz des Lebens in seinen vielen Facetten, zur kompromisslosen Bewahrung der Schöpfung und eine klare Absage an alle Formen von Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung." Dies könne man auch als "Leben in Verbundenheit" zusammenfassen, so der Bischof.
(Buchhinweis: Othmar Karas, Judith Kohlenberger: So schaffen wir das - Wie wir das Thema Asyl & Migration dem linken und rechten Rand abnehmen und die Krise überwinden. Edition a, 2023, 336 S.; Euro 25,-, ISBN 978-3-99001-640-4)
Quelle: kathpress