
Kinderliteratur wie "Pippi Langstrumpf" nicht "glattbügeln"
Sie halte Sprachsensibilität für sehr wichtig, aber nichts davon, Klassiker der Kinderliteratur wie Astrid Lindgrens "Pippi Langstrumpf" weichzuspülen und "glattzubügeln". Das hat Heidi Lexe, Leiterin der Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur der Erzdiözese Wien ("STUBE"), zum derzeit vielfach zu beobachtenden Phänomen erklärt, nach Schulbüchern nun auch bekannte Kinderbücher politisch korrekt umzuschreiben. Viele der derzeit geführten Diskussionen hätten nichts mehr mit Sprachsensibilität zu tun, sondern vielmehr mit dem Versuch, Kinderliteratur weißzuwaschen, befand Lexe. Es handle sich um "Nivellierungen, die dazu führen, dass Kinder nicht mehr ernst genommen werden".
Von einem "Klassiker" wie "Pippi Langstrumpf" würde sie sich wünschen, dass er auch heute noch Platz in jedem Kinderzimmer bekommt, sagte die auch an der Universität Wien lehrende Expertin am Donnerstag im Interview der Nachrichtenagentur Kathpress. Pippis wilden, abwesenden Papa zu einem "Südseekönig" zu machen, statt das "N-Wort" zu benutzen, erleichtere natürlich das Leben als sprachsensible Vermittlerinnen und Vermittler von Kinderliteratur. Dazu habe sich der Verlag bereits vor vielen Jahren entschieden.
Derzeit werde der Bogen aber überspannt - zum Schaden der Kinder, die "geschützt" werden sollen. "Literatur darf rau sein, darf Ecken und Kanten haben, darf herausfordern und irritieren, darf schräg und durchaus auch einmal unkorrekt sein", hielt Lexe fest. "Warum also erwarten wir von Kinderliteratur, dass sie rosarot, leicht konsumierbar und glattgebügelt ist?" Kinderliteratur schaffe nicht nur den Einstieg in die Vielfalt literarischer Angebote, sie ermögliche es Lesenden auch, "über den Tellerrand zu blicken, andere Lebensformen, andere Denkweisen kennen zu lernen". Kritische Anfrage der "STUBE"-Leiterin: "Gilt es für populistische oder gar fundamentalistische Erwachsene vielleicht genau das zu verhindern? Indem das Lektüreangebot für Kinder zensuriert wird?"
Überkommenes ablegen, Neues entdecken
Dabei sei klar, so Lexe: Auch Kinderbücher seien zu unterschiedlichen Zeiten vor unterschiedlichen ideologischen Hintergründen entstanden. Und nur weil ein Kinderbuch mit dem Label "Klassiker" versehen wird, sei damit längst noch nicht jene Qualität angezeigt, die heute von Kinderliteratur erwartet werde "oder Haltungen vermittelt, die zeitgemäß sind". Sie plädiere daher dafür, auch mit Blick auf die Kinder- und Jugendliteratur ein "literaturgeschichtliches Bewusstsein" herauszubilden. Es gelte, sich selbst und den kindlichen Leserinnen und Lesern klar zu machen, dass es Bücher wie Franz Karl Ginzkeys "Hatschi Bratschi Luftballon" gibt, "die zu ihrer Zeit große Bedeutung hatten, heute aber aus der Zeit gefallen sind".
Andere Bücher wiederum, wie die Romane von Roald Dahl ("Hexen hexen", "Matilda", "Charlie und die Schokoladenfabrik" u.a.) hätten sich bis heute ihre Einzigartigkeit erhalten - "aber nur dann, wenn auch weiterhin Roals Dahl Sprache und Erzählstil unverfälscht bleibt", wie Lexe betonte. Der Lesegenuss werde dann auch heute uneingeschränkt sein.
Die Expertin wies in dem Zusammenhang darauf hin, es habe immer auch mit ein wenig Nostalgie zu tun, wenn Erwachsene Bücher an Kinder weitergeben wollen, die sie selbst liebten. "Und das soll ja auch so sein", so Lexe. Es solle aber nicht dazu führen, dass nur "das Immergleiche" Aufmerksamkeit erhält. Eine Institution wie die "STUBE" zeige mit all ihren zahlreichen Lektüretipps, wie breit das heutige Angebot an Kinder- und Jugendliteratur heute sei - vom Bilderbuch bis zum Sachbuch, vom unterhaltenden bis zum herausfordernden Roman, vom traurigen bis zum "aberwitzigen" Buch. (Link: www.stube.at)
Quelle: kathpress