Glettler: "Vielfältig wie das Leben sind auch seine Gefährdungen"
"So vielfältig wie das Leben ist, so vielfältig sind auch seine Gefährdungen": Das hat der für Lebensschutz in der Bischofskonferenz zuständige Referatsbischof Hermann Glettler (Innsbruck) anlässlich der "Woche für das Leben" beklagt. In dieser österreichweiten Aktionswoche rund um den "Tag des Lebens" am 1. Juni soll heuer speziell die Situation von Menschen mit Beeinträchtigung und deren Angehörigen thematisiert werden. Bei der Programmpräsentation der Diözese Innsbruck nannte Glettler die gesetzliche Regelung in Österreich "schmerzhaft", dass ein Kind bei Verdacht auf eine Behinderung bis zur Geburt abgetrieben werden kann. "Das ist eine Selektion von scheinbar lebensunwürdigem Leben, die dem Anspruch einer humanen Gesellschaft nicht gerecht wird", kritisierte der Bischof.
Als ein Höhepunkt der "Woche für das Leben" kündigte Glettler bei einem Pressegespräch in Innsbrucker Jakobsdom, an dem auch mit Fachleute aus Seelsorge, von "Aktion Leben" und dem Verein "Angehörige von Menschen mit Behinderung" teilnahmen, die am 1. Juni eröffnete Ausstellung "LebenErleben" an. Diese interaktive Schau der "Aktion Leben" im Dom stelle "die vorgeburtliche Zeit hautnah dar"; "Erlebnisinseln" zum Tasten, Raten, Hinhören und Erspüren sollen Einsichten in den spannenden ersten Abschnitt des Lebens vermitteln.
"1. Denkmal für das behinderte Leben"
Auch die Diözese Feldkirch begeht die "Woche für das Leben" mit einem Denkanstoß der besonderen Art. Am Freitag, 2. Juni, um 17 Uhr präsentieren hochrangige Kirchenvertreter das "1. Denkmal für das behinderte Leben": Die von Papst Franziskus gesegnete Skulptur eines Engels mit gebrochenem Flügel soll laut dem Verein "RollOn Austria" für Behindertenrechte darauf aufmerksam machen, dass jeder Mensch wertvoll ist, so die Ankündigung. Von Rom aus tritt das 2,30 Meter große Artefakt eine Reise in alle Bundesländer an und wird danach auch die Grenzen Österreichs überschreiten. In Vorarlberg empfangen den Engel Bischof Benno Elbs, Dompfarrer Fabian Jochum, Bischofsvikar Rudolf Bischof, Caritasdirektor Walter Schmolly sowie Landesrätin Martina Rüscher.
Der Engel mit dem gebrochenen Flügel sei ein Symbol für das nicht perfekte Leben, heißt es dazu auf der Website der Diözese. An der Stelle, wo der zweite Flügel fehlt und somit eine Behinderung sichtbar wird, leuchten zahlreiche Lichter. "Die Skulptur soll Hoffnung und Zuversicht spenden sowie ein starkes Zeichen der Toleranz und Mitmenschlichkeit darstellen."
Bischof Glettler berichtete beim Pressegespräch in Innsbruck von zahlreichen Gesprächen von Eltern, die aufgrund einer einschlägigen Diagnose zu einem Spätabbruch ihres mutmaßlich behinderten Kindes regelrecht gedrängt worden seien. Demgegenüber sieht der Lebensschutzbischof "den Auftrag einer inklusionsbereiten Gesellschaft in der Wertschätzung und im Schutz menschlichen Lebens - unabhängig von der Tatsache einer Behinderung". Die Kirche leiste dazu einen vielfältigen Beitrag.
Grundsätzlich solle das Programm der "Woche für das Leben" heuer das Sensorium für die Schönheit und Verletzlichkeit des Lebens in der vorgeburtlichen Zeit schärfen, teilte die Diözese Innsbruck in ihrer Aussendung mit. Das Staunen über "das Wunder des Lebens" könne mehr zu einer guten Debatte über den Lebensschutz beitragen als ein "Schlagabtausch verhärteter Positionen".
Eni Gruber, Geschäftsführerin von "Aktion Leben Tirol", unterstrich es als Aufgabe des Vereins, "ganzheitlich und professionell zu beraten. Jene, die zur Beratung kommen, entscheiden aber immer selbst, wie sie die erhaltenen Informationen für ihr individuelles Anliegen umsetzen." In der Schwangerenberatung ist laut Gruber häufig festzustellen, "dass Frauen das Gespür für sich, für ihren Körper verlieren. Sie können oder wollen das Thema Schwangerschaft nicht wahrhaben bzw. annehmen". Eine einfühlsame Beratung könne hier helfen, den Ursachen des vermeintlichen Konflikts auf die Spur zu kommen.
Inklusion beginnt im Kopf und im Herzen
Zu Wort kam auch Karl Medwed, Vater einer Tochter, die - seit sie vor 19 Jahren als 26-Jährige in den Zustand eines aggressiven Wachkomas versetzt wurde - ein 100-prozentiger Pflege- und Betreuungsfall ist. Rund 80.000 weitere Menschen pflegen in Österreich ihr Kind mit Behinderung. Um auf deren Herausforderungen aufmerksam zu machen und ihnen ein Mitspracherecht bei sie betreffenden Entscheidungen einzuräumen, wurde der Verein "Angehörige von Menschen mit Behinderungen" gegründet, dessen Obmann Medwed ist.
Er forderte mehr qualitätsvolle inklusive Betreuungsplätze und die Erhöhung des Betreuungsschlüssels für Schwerstbehinderte. Außerdem brauche es Lösungsansätze für den Personalmangel an Pflege- und Betreuungspersonal. "Das Humanverhalten einer Gesellschaft erkennt man am Umgang mit den Schwächsten", betonte Medwed.
Voneinander lernen
Birgit Geisler, Pastoralassistentin im "slw Innsbruck", einer von den Kapuzinern geründete Einrichtung für Menschen mit Unterstützungsbedarf, erlebe in der Seelsorge täglich, "wie sehr wir von Menschen mit Beeinträchtigung lernen können". In den wöchentlichen Gottesdiensten mit Erwachsenen mit und ohne Behinderung werde eine lebendige Kirche sichtbar. In manchen Pfarrgemeinden gebe es jedoch Nachholbedarf beim Abbau bestehender Barrieren - auch solche baulicher Art.
Um den Wert und die Würde des menschlichen Lebens bewusst zu machen, lädt die katholische Kirche alljährlich zu einer Woche für das Leben ein. In den zahlreichen Veranstaltungen rund um den Tag des Lebens (1. Juni) geht es um die Wertschätzung des Lebens im Mutterleib, im Alter und in der Sterbephase ebenso wie um den Umgang mit behinderten, kranken und pflegebedürftigen Menschen. Auch die Situation von pflegenden und betreuenden Personen wird in den Blick genommen. Es geht grundsätzlich um die vielfältigen Fragen der Bioethik, Chancen und Grenzen moderner Medizin sowie um Gewaltschutz und Schöpfungsverantwortung.
(Detailprogramm der "Woche für das Leben" in der Diözese Innsbruck: https://www.dibk.at/Meldungen/Schoenheit-und-Verletzlichkeit-des-Lebens)
Quelle: kathpress