
Literatur: Marketz würdigt Neuauflage von Viesers "Nachtquartier"
"Es wird nicht viele Romane geben, die vom Niedergang des christlichen Glaubens handeln und ein bischöfliches Vorwort enthalten." Das schreibt der Kärntner Diözesanbischof Josef Marketz am Beginn seines Vorworts zum Roman "Nachtquartier" der Kärntner Schriftstellerin Dolores Viesèr. Der 1971 erschienenen Roman wurde neu aufgelegt und am Wochenende im Kärntner Launsdorf präsentiert. Bischof Marketz nahm an der Präsentation teil. Vieser spricht in ihrem Werk, das in Kärnten zur Franzosenzeit im frühen 19. Jahrhundert spielt, "Probleme des gesellschaftlichen Zusammenlebens an und lasse manche Schattenseiten der Gesellschaft aufleuchten", so Marketz.
Dolores Viesèr (1904-2002) galt und gilt bis heute vor allem aufgrund ihres biografischen Romans über Hemma von Gurk als "christliche" Schriftstellerin. Knapp vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zur Heiligsprechung Hemmas habe sie an die Liebe geglaubt, die die Welt verändern kann, so Bischof Marketz. Inmitten einer Welt von Grausamkeit und Barbarei, die sich 1938 schon abgezeichnet hat, habe sie immer noch viele Möglichkeiten zur Liebe gesehen: "Lieben kann man immer!" sei die Devise, die ihr Hemma durch ihre Großmutter mit auf den Lebensweg gab.
Herausgefordert durch die Schrecken der nationalsozialistischen Zeit und wohl auch enttäuscht durch die Nachkriegsentwicklung habe sich Viesèr ein Vierteljahrhundert nach Kriegsende wieder an einen historischen Roman gewagt, so Marketz in seinem Grußwort bei der Buchpräsentation.
Viesèr habe wiederum eine zeitlose und zugleich hochaktuelle Geschichte über die Menschen in Kärnten erzählt, "die sie mit großer Aufmerksamkeit beobachtet, sie in keiner Weise be- oder gar verurteilt. Und doch kann sie offenbar nicht anders als ein eher düsteres gesamtgesellschaftliches Sittenbild nicht nur der Franzosenzeit, sondern auch der Gegenwart zu zeichnen." Sie nehme wahr, "dass allzuvielen eines fehlt, nämlich die Liebe, göttliche und zwischenmenschliche Liebe". Sie lasse sich allerdings nicht dazu hinreißen, die Schuld auf die "Anderen" zu schieben, "damals die Juden oder die Besatzer, heute vielleicht die Flüchtlinge und Migranten".
Ihren Roman durchziehe eine zutiefst christliche und zugleich humane Einstellung. Die Sehnsucht nach so einer Welt sei Dolores Viesèr geblieben, obwohl sie sich nicht mehr dazu aufraffte, sie herbeizuschreiben. Er hoffe, so der Kärntner Bischof, dass die Neuauflage von "Nachtquartier" eine große Zahl an Leserinnen und Lesern finden und zum Nachdenken anregen werde.
Die 536 starke Publikation "Nachtquartier" wurde von der ARGE Dolores Viesèr in Zusammenarbeit mit dem Geschichtsverein für Kärnten und der Gemeinde St. Georgen am Längsee herausgegeben.
Quelle: kathpress