
Salzburger Theologe: Kirche darf kritische Dimension nicht verlieren
Die Kirche benötigt mehr Mut und kritisches Engagement, jedoch weniger "spirituelle Bubbles" und Privatisierung: Dafür hat sich der Salzburger Pastoraltheologe Salvatore Loiero in der aktuellen Podcastfolge von "Diesseits von Eden" ausgesprochen. "Die kritische Kraft der Kirche macht aus, dass sie auch für die die Stimmen erhebt, die sonst keine Stimme hätten", so der Professor für Pastoraltheologie an der Paris-Lodron-Universität Salzburg. Auch in Zeiten der multiplen Krisen - etwa Inflation, Verschwörungstheorien und globale Krisenherde - dürfe man Probleme nicht "weg beten", sondern müsse "die Kraft der Gemeinschaft" für Marginalisierte nutzen.
"Das Schlimmste wäre, wenn man sich in die Privatisierung hineinbegeben würde", meinte Loiero mit Blick auf politische wie gesellschaftliche Tendenzen, Religionen und Glaube ins Private zu drängen. Theologie müsse politisch sein, ohne in eine Gewalt- oder Machtfalle zu treten oder einen Messianismus zu vertreten. "Es geht um ein politisches Christ-Sein und Christ-Werden, wo wir diejenigen sind, die die Schründe aufweisen und versuchen Protest einzubringen", erläuterte der Pastoraltheologe.
Politische Theologie zeichne zudem eine Offenheit aus, "weil wir es uns anders vorstellen können: Wir wissen, wir glauben und wir hoffen, dass es anders sein kann". Gleichzeitig gelte es zu erkennen, dass Hoffnung "vielleicht ein abgenützter Begriff ist, der für manche gar nicht mehr existiert".
Kritik an "Bubbles"
Kritik übte der deutsch-italienische Theologe an neuen Gruppierungen, die das Gebet und den Geist als Mittelpunkt sehen. "Wenn das das alleinige Szenarium wäre, dann könnte es wirklich in die Falle geraten, dass ich mich als Christentum in einer Bubble wiederfinde." Die Gefahr bestehe etwa darin, "Probleme zu spiritualisieren, anstatt etwas zu tun".
Es sei zwar "entlastend, wenn ich nicht zu jedem Problem Stellung nehmen muss, wenn ich nicht jedes Problem sehe und zu vielen eine eindeutige Lösung habe", letztlich führe diese Haltung aber zu einer Segmentierung der Gesellschaft, warnte Loiero. Der Theologe zog zudem eine Parallele zwischen solch spirituellen Blasen und Stadtkulturen sowie dem Phänomen der Gentrifizierung; letztere würden sich zwar als hip, offen und multikulturell zeigen, "aber in Wirklichkeit drängt man genau die raus, die nicht zu dieser Gruppierung passen, also die, die intellektuell und finanziell nicht dazu passen". Dies sei eine problematische Haltung, die subversiv Privatisierungstendenzen fördere und "man merkt es erst gar nicht".
Synodaler Prozess als Chance
Positiv strich Loiero den von Papst Franziskus angestoßenen synodalen Prozess in der Kirche heraus. Dieser bringe wieder ins Bewusstsein, dass es in Pfarren und Gemeinschaften "Ermöglichungsräume" geben müsse. In solchen Räumen gäbe es die Möglichkeit für Engagement, neue Prozesse, Protest und Aktivität, erläuterte Loiero, der 2015 zum Priester geweiht wurde.
Praktisch bedeute eine politische Theologie für Christinnen und Christen, sich mit Blick auf das Wahljahr 2024 - EU-Wahl und Nationalratswahl - gegenüber Populismus oder Ausgrenzung zu positionieren, betonte der Theologe. Ferne heiße dies für die Kirche, sich nicht nur im karitativen diakonalen Bereich zu betätigen, sondern auch denen eine Stimme zu geben, "die sonst keine Stimme bekommen". Als praktische Beispiele nannte Loiero die Stimmabgabe bei Wahlen oder den persönlichen Einsatz in der Kirche für Veränderungen oder gegen Diskriminierung. All das benötige einen "neuen Mut" und den Willen zur Veränderung, meinte der Salzburger Pastoraltheologe.
Mut zu Gestaltung von Kirche und Gesellschaft
Der Mut zu Gestaltung von Kirche und Gesellschaft fange bereits im Kleinen an: "Wie gestalte ich meinen Umgang mit anderen? Welches Interesse habe ich an den Menschen, die in meiner Pfarre leben?", nannte Loiero Beispiele. Konkret müsste eine Willkommenskultur für junge Menschen etabliert werden. Dazu gehöre auch jungen Menschen zu zeigen, "dass man froh ist, dass es sie gibt und sie mit uns den Ort gestalten und dann, wenn sie wollen und können, auch Kirche mitgestalten".
Kritisch betrachtete der Salzburger Pastoraltheologe jegliche "Verzweckung" von Gläubigen. Pfarren hätten die Aufgabe, Menschen bei der "Ich-Werdung" zu unterstützen, und nicht in ihnen lediglich den nächsten Lektor, die nächste Tischmutter oder Kommunionspenderin zu sehen. Das Ziel müsse ein Interesse an den Menschen sein, sowie eine Hilfestellung zum Erwecken des Potenzials: "Wenn ich dieses Leben erwecke, dann glaube ich, kann man auch Glauben erwecken."
Die Podcast-Folge kann unter https://diesseits.theopodcast.at/krise-theologie-perspektiven-unsicherheiten-neues-jahr-2024 nachgehört werden. Der Podcast der theologischen Fakultäten in Österreich und Südtirol, "Diesseits von Eden. Gespräche über Gott und die Welt", ist unter https://diesseits.theopodcast.at abrufbar sowie über alle gängigen Podcast-Kanäle kostenlos abonnierbar.
Quelle: kathpress