Glettler vermisst "Geduld, Zuhörfähigkeit und Kompromissbereitschaft"
Es braucht heute mehr denn je eine "ganzheitliche Herzensbildung", um in den Vielfachkrisen der "beschleunigten, zunehmend digitalisierten Welt" nicht "menschlich auf der Strecke zu bleiben": Das hat der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler in einem Interview am Rande zweier Veranstaltungen der Wiener Theologischen Kurse am Mittwoch in Wien betont. "Ich vermisse Geduld, Zuhörfähigkeit und Kompromissbereitschaft", wird Glettler in einer Presseaussendung der Theologischen Kurse zitiert. "Wir müssen uns doch das Leben immer wieder neu gut ausverhandeln - und allen Mitgliedern einer Gesellschaft Teilhabe ermöglichen."
Dies gelte um so mehr angesichts des Tags der Befreiung vom Nationalsozialismus (8. Mai). "Da geht es um historisches Wissen und zugleich die Vermittlung von Werten und das Einüben von Haltungen. Die radikalen, gefährlich undifferenzierten Stimmen, Hass und Verhetzung dürfen doch nicht unwidersprochen bleiben", so Glettler. Das Herz sei ihm angesichts dieser Herausforderung so wichtig, weil dies der Sitz der Weisheit, des Wissens und Gewissens sei. "Das Herz ist der unbedingt notwendige Resonanzraum, damit wir uns selbst als freiheitsliebende Wesen und die Welt in ihrer Komplexität wahrnehmen können", so der Bischof.
Darüber hinaus äußerte sich Glettler auch zur Rolle des russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill im Ukraine-Krieg: "Einer der ganz großen Skandale in diesem verheerenden Krieg ist tatsächlich die Rolle der russisch-orthodoxen Kirche. Es ist eine Schande, dass sich der Moskauer Patriarch zum vielleicht wichtigsten Kriegsgehilfen von Putin gemacht hat." Damit verrate Kyrill laut Glettler die Botschaft des Evangeliums und lade "eine enorme Schuld auf sich und auf alle, die ihm unterstellt sind". Er hoffe daher auch, dass die orthodoxen Gläubigen dies durchschauen und Kyrill entsprechend zur Rechenschaft ziehen, sagte der Bischof.
Der Kunst sprach der Innsbrucker Oberhirte angesichts der großen Krisen und Konflikte wie dem Ukraine-Krieg eine besondere Kraft zu. Kunst widersetze sich einer "globalisierten Gleichgültigkeit" und sei in diesem Fall auch der "Versuch einer Notwehr, um das Bedrohliche und Dämonische des Krieges zu benennen - und damit ein Stück weit zu brechen", so Glettler. Kunst "zeigt auf, demaskiert und ermutigt zum Widerspruch. Kunst ist das trotzige Nicht-Einverständnis mit jeder Form der Entwürdigung des Menschen." (Interview im Wortlaut: www.theologischekurse.at/aktuelles/1015/ich-vermisse-geduld-zuhoerfaehigkeit-und-kompromissbereitschaft)
Quelle: kathpress