"Lange Nacht": ÖVP, Grüne und NEOS orten christliche Werte in EU
Das Europäische Projekt war und ist auch von christlichen Werten geprägt. Zu dieser übereinstimmenden Einschätzung sind Spitzenvertreter von ÖVP, Grünen und NEOS bei den Europawahlen bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen der "Langen Nacht der Kirchen" in Wien gekommen. Der Diskussion stellten sich die Spitzenkandidaten von ÖVP und NEOS, Reinhold Lopatka und Helmut Brandstätter, sowie der Listenplatz-Zweite der Grünen, Thomas Waitz. Sie diskutierten mit dem Generalsekretär der Bischofskonferenz, Peter Schipka, moderiert vom "Kurier"-Journalisten Rudolf Mitlöhner.
Ort der Veranstaltung war die Hofburgkapelle, wo Schipka auch Rektor ist und eingangs erklärte, dass auch die Spitzenkandidaten von SPÖ und FPÖ eingeladen waren. Diese waren aber aufgrund zeitgleich stattfindender Wahlveranstaltungen verhindert und konnten keinen annähernd gleichwertigen Ersatz entsenden.
Für Lopatka "ist die EU ein zutiefst christliches Projekt und von der Katholischen Soziallehre geprägt". Das zeigten die auch für die EU maßgeblichen Sozialprinzipien Subsidiarität und Solidarität, die es für das Zusammenleben brauche. Neben diesen Prinzipien hätten sich für Europa aber auch Menschen wie Robert Schuman, Jacques Delors oder der österreichische Außenminister Alois Mock eingesetzt, die alle "zutiefst von christlichen Werten geprägt" waren. Auch wenn es andere Religionen, Nichtglaubende und eine stagnierend bis abnehmende Zahl an Christen gebe, so seien noch immer rund drei Viertel der EU-Bevölkerung christlich, gab der ÖVP-Spitzenkandidat zu bedenken.
Zur christlichen Prägung gehöre auch die Trennung von Staat und Religion, so Lopatka, was auch von NEOS-Spitzenkandidaten Brandstätter unterstrichen wurde. Diese Verhältnisbestimmung bleibe eine wichtige Konstante, nicht zuletzt aufgrund der christlichen Religionskriege in der europäischen Geschichte und aufgrund der Aufklärung, durch die auch die Kirchen hätten gehen müssen, so Brandstätter. Würden sich alle an die Zehn Gebote aus dem jüdisch-christlichen Erbe halten, würde es Frieden in Europa geben, sagte Brandstätter, der zugleich eine Grenze markierte: "Keine Toleranz gegenüber Intoleranten." Dass die institutionelle Trennung von Staat und Religion auch für Katholiken wichtig sei, bekräftigte Schipka, denn: Aufgabe des Staates und der EU sei es, grundlegende Rechte wie Leben und Religionsfreiheit zu sichern. Das sei nicht zuletzt im Interesse der Kirche.
"Die EU ist wertebasiert und dazu gehören auch christliche Werte", hielt der Listenplatz-Zweite der Grünen, Thomas Waitz, fest. Europa sei und müsse primär ein Friedensprojekt bleiben, betonte Waitz und verwies darauf, dass der EU-Raum viele Religionen beherberge. Mit anderen Worten: "Die EU soll offen sein für alle, die es gut meinen, solange sie die Werte der EU teilen, die ja teilweise auch christlich sind."
Kirche hat positive Haltung zur EU
Bischofskonferenz-Generalsekretär Schipka führte aus, dass die katholische Kirche grundsätzlich ein "positives Interesse an der EU" habe. Dies manifestiere sich einerseits in den schon bestehenden Strukturen. So gebe es mit der COMECE einen Zusammenschluss der Bischofskonferenzen der EU mit Sitz in Brüssel und auch der Heilige Stuhl habe in Brüssel einen eigenen Nuntius, der für die Beziehungen mit der EU zuständig sei. Das positive kirchliche Interesse von Religionen im Allgemeinen und der katholischen Kirche im Speziellen resultiere aber auch daraus, dass diese es gewohnt seien, "transnational zu denken und zu handeln".
"Ein Positivkriterium für die Bischöfe ist, wer unter den Parteien zur Verbesserung der EU beiträgt", führte Schipka weiter aus. Das bedeute auch, dass rechtsstaatliche Mindeststandards nicht infrage gestellt werden, damit die Grundrechte gewahrt blieben.
Konstruktive Mitte stärken
Gegenstand der Diskussion waren auch Prognosen, die von einem "Rechtsruck" in der EU infolge der Wahlen sprechen. Als wenig hilfreich erachteten die Diskutanten Links-rechts-Kategorisierungen. Das eigentlich wichtige Unterscheidungsmerkmal unter den wahlwerbenden Parteien sei, ob sie sich konstruktiv oder destruktiv gegenüber der EU verhielten, so die anwesenden Parteienvertreter, die sich allesamt als Teil einer "konstruktiven Mitte" bezeichneten. Dies sollte nach Meinung der Diskutanten auch gestärkt werden.
Ausdrücklich warnte Brandstätter, vor jenen, "die Europa zerstören wollen". Dies seien Kräfte von außen wie Putins Russland, wie dessen völkerrechtswidriger Angriffskrieg auf die Ukraine beweise. In diesem Zusammenhang übte der NEOS-Mann heftige Kritik am russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill, der den Krieg gutheiße, den Westen satanisch nenne und zum Töten aufrufe. Hier erwarte er sich auch eine klarere Positionierung der katholischen Kirche und des Papstes.
"Mir ist komplett unverständlich und nicht nachvollziehbar, was der Moskauer Patriarch anscheinend aus Überzeugung sagt und macht", pflichtete Schipka der Kritik Brandstätters bei. "In dieser Situation versucht der Papst, als Völkerrechtssubjekt das Unrecht zu benennen - 'völkerrechtswidriger Angriffskrieg' - und dennoch Gesprächskanäle offenzuhalten", führte der Bischofskonferenz-Generalsekretär aus.
Weil die Themen Flucht, Asyl, Migration und Integration für die Wählerinnen und Wähler wichtig und auch mit Ängsten besetzt seien, sei die Politik gefordert, Lösungen zu bieten. Auch darin herrschte unter den Diskutanten Übereinstimmung. "An der Frage der Migration wird klar, wie wichtig die EU ist, um die Fluchtursachen gemeinsam zu bekämpfen", sagte dazu Schipka. Die Kirche trete daher für legale Fluchtwege und gezielte Maßnahmen ein, um Menschen gut zu integrieren. Wer sich in einem Lager für Asylsuchende, Geflüchtete oder Migranten an der EU-Außengrenze befinde, habe auch einen Anspruch, menschlich behandelt zu werden.
Quelle: kathpress