
Äthiopien: Kirche setzt sich für traumatisierte Menschen in Tigray ein
Massenmorde, Massaker, Folter, Verstümmelungen und sexuelle Gewalt: Der zwei Jahre lang bis November 2022 andauernde Krieg in der äthiopischen Region Tigray hat seine Spuren im Seelenleben und in den Körpern der Betroffenen hinterlassen. "Die Menschen in Tigray haben die Hölle erlebt: Es gab Gruppenvergewaltigungen und Morde vor den Augen der Familien. Mehr als eine Million Menschen wurden getötet", wird der äthiopisch-katholische Bischof Tesfaselassie Medhin aus Adigrat in einer Aussendung von "Kirche in Not" zitiert. Nun engagiert sich die Kirche bei der Therapie und Seelsorge für die traumatisierte Bevölkerung. Das katholische Hilfswerk kündigte am Dienstag eine finanzielle Unterstützung von Traumabehandlungen an.
Der Bedarf an geistlicher und therapeutischer Betreuung sei nach dem offiziellen Kriegsende sehr hoch, berichtete Medhin im Rahmen eines Besuches bei "Kirche in Not". Viele Menschen seien bei den Kämpfen verstümmelt worden oder könnten die erlebten Grausamkeiten nicht verarbeiten. Die äthiopisch-katholische Diözese Adigrat führt für diese Menschen spezielle Kurse durch, die neben der psychologischen Hilfe auch pastorale Aspekte umfassen. "Eine Bewältigung der traumatischen Erfahrungen ist nicht möglich, ohne sich dem Geschehenen zu stellen", so Medhin. Die Programme werden auch geistlich begleitet.
Anhaltende Krisensituation
In Adigrat würden sich noch immer 50.000 vertriebene Menschen aufhalten, die nicht in ihre Heimatorte zurückkehren könnten, schilderte der äthiopische Bischof die aktuelle Situation. Die Straßen seien unsicher, die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Tausende Menschen in der Region würden weiterhin durch Gewalt, Nahrungsmittelknappheit und mangelnde medizinische Versorgung sterben, beklagte der Bischof, und fragte: "Wie kann die Welt da einfach nur zuschauen?"
Während des Konflikts sei die Region vollständig abgeriegelt gewesen, berichtete der Oberhirte der Diözese, die die gesamte Region Tigray im Norden Äthiopiens an der Grenze zu Eritrea umfasst. Auch Hilfslieferungen seien nicht durchgekommen: "Wir waren völlig abgeschnitten. Internet und Telefon haben nicht funktioniert, wir konnten das Haus nicht mehr verlassen."
Manche seiner Priester habe er seit vier Jahren nicht mehr gesehen. Denn auch nach dem Friedensabkommen sei rund ein Drittel der Region Tigray besetzt und unzugänglich. Bischof Medhin betonte dabei die Leistungen der Geistlichen in der Krisenzeit: "Aufgrund der Gefahren haben alle Hilfsorganisationen unsere Region verlassen. Aber die Priester und Ordensleute - unter ihnen 30 ausländische Missionare - sind alle dageblieben."
Ein "wahrer Albtraum" sei es gewesen, nicht zu wissen, was mit den Menschen seiner Diözese geschehe, erklärte der Bischof. Dennoch habe er bereits während des Krieges in seiner Bischofsstadt Adigrat ein medizinisches Zentrum aufgebaut. Menschen konnten sich dort vertraulich behandeln lassen. "Wir Katholiken machen nur ein Prozent der sieben Millionen Einwohner Tigrays aus, aber aufgrund des Einsatzes im Gesundheits- und Bildungsbereich haben wir für 25 Prozent der Bevölkerung große Bedeutung", erklärte Medhin.
Einer der tödlichsten Konflikte weltweit
Der Konflikt in der Region Tigray ist Beobachtern zufolge einer der tödlichsten weltweit, wie "Kirche in Not" mitteilte. Auslöser war ein Streit um die Macht zwischen der Zentralregierung unter Premierminister Abiy Ahmed und der lange in Tigray regierenden "Tigray People's Liberation Front" (TPLF). Die Regierungstruppen wurden aus dem Nachbarland Eritrea und von ethnischen Milizen aus dem Inland unterstützt. Mit dem Friedensabkommen von Anfang November 2022 ist es wieder möglich, humanitäre Hilfen in die Region zu bringen. Vorbei ist der Konflikt aber nicht.
Äthiopien ist mit rund 110 Millionen Einwohnern aus über 80 Ethnien einer der bevölkerungsreichsten Staaten Afrikas. Etwa 95 Prozent der Bevölkerung gehören der äthiopisch-orthodoxen Kirche an. Während der Kämpfe wurden vereinzelt auch Übergriffe auf Kirchen und Klöster gemeldet. Die Gewalt war jedoch nicht religiös, sondern politisch motiviert.
(Infos: www.kircheinnot.at; Spendenkonto Kirche in Not: IBAN: AT71 2011 1827 6701 0600; Verwendungszweck: Äthiopien)
Quelle: kathpress