
Küberl sieht sozialen Frieden gefährdet: "Trend zur Ich-AG ist fatal"
Der frühere Präsident der Caritas Österreich, Franz Küberl, hat eindringlich vor einer Erosion des sozialen Friedens in Österreich gewarnt. In der aktuellen Folge des Podcasts "Sozialkompass" der Katholischen Sozialakademie Österreich (ksoe) betonte Küberl, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt kein Selbstläufer sei, sondern kontinuierliche Anstrengung verlange. "Sozialer Friede ist immer eine relative Sache. Den absoluten Frieden wird es erst im Himmel geben. Aber den relativen Frieden kann und muss man ausbauen", sagte Küberl.
Er erinnerte in dem Kontext an die dramatische Lage Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg: "Wir sind 1945 knapp der Hölle entronnen. Wir sind zwar nicht bis zum Himmel gekommen, aber ein weites Stück von der Hölle weg." Dennoch gebe es auch in der Gegenwart ernsthafte Bedrohungen für den sozialen Zusammenhalt. Neben politischen Gewalttaten verwies Küberl auf anhaltende strukturelle Probleme wie Armut, Gewalt und Entrechtung, die es aktiv zu bekämpfen gelte. "Je mehr Menschen halbwegs gut und mit Perspektive leben können, desto eher wird man von sozialem Frieden sprechen können", so Küberl.
Als zentrale Herausforderung sieht Küberl eine zunehmende Vereinzelung und den Rückzug ins Private. Die Pandemie habe diesen Trend massiv verstärkt. "Der soziale Friede ist gefährdet, wenn wir alle zu Ich-AGs werden", warnte er. Notwendig sei ein neues Bewusstsein für gegenseitige Abhängigkeit und Solidarität. "Mir geht es nur gut, wenn es meinem Nachbarn gut geht. Das ist eine sehr persönliche, aber auch eine sehr politische Ansage."
Küberl sprach sich in dem Gespräch mit ksoe-Direktor Markus Schlagnitweit dafür aus, wieder verstärkt den Dialog mit Andersdenkenden zu suchen: "Das Gespräch mit Gleichgesinnten beherrschen wir. Jetzt brauchen wir die andere Phase: das Gespräch mit den Andersdenkenden." Es gehe darum, echtes Interesse an anderen Menschen zu zeigen, ohne sofort die eigene Meinung durchsetzen zu wollen.
Mit Blick auf gesellschaftliche Verwerfungen nannte Küberl drei zentrale Risiken: die Verunsicherung junger Generationen über ihre Zukunft, die Spaltungserfahrungen in der Corona-Pandemie und den Aufstieg des Rechtspopulismus. "Der Rechtspopulismus legt den Finger auf Wunden, hat aber keine Lösungen", sagte Küberl. Aufgabe einer verantwortungsvollen Politik sei es, "klügere Antworten" zu finden und nicht auf Spaltung zu setzen. Eine "Festung Österreich" sei eine "idiotische" Vorstellung, so Küberl wörtlich. Die großen Herausforderungen der Globalisierung und Migration könnten nur in internationaler Zusammenarbeit bewältigt werden.
Konkrete Schritte zu mehr sozialem Frieden sieht Küberl in der Stärkung des Ehrenamts und in der Anerkennung für jene, die sich für andere einsetzen. "Ehrenamtliche bringen Rüstzeug mit und stehen anderen bei. Gleichzeitig lernen sie andere Lebenssituationen kennen", erklärte er. Auch das Gebet für andere sei eine Form der Solidarität: "Für andere zu beten heißt, andere in den Blick zu nehmen." Es komme darauf an, Empathie zu zeigen und im Alltag "einen Beitrag zu leisten, wie groß oder klein auch immer".
Der Podcast stellte den Auftakt nicht nur zur dritten Staffel des ksoe-Podcasts insgesamt dar, sondern auch den Auftakt zu einem auf drei Jahre angesetzten Schwerpunktprojekt zum sozialen Frieden. Das Projekt besteht aus drei jeweils einjährigen Schwerpunkten: Im ersten Jahr soll es um das Thema Verständigung und Dialog im Blick auf sozialen Frieden gehen; im zweiten Jahr um das Thema Gerechtigkeit und sozialer Frieden - und im dritten Jahr um das Thema Vielfalt und sozialer Frieden. Der ksoe-Podcast wird das gesamte Projekt mit jeweils monatlichen Folgen begleiten. Die bisherigen ersten beiden Staffeln waren den Themen "Gute Arbeit" und "Wohlstand" gewidmet. (Infos: www.ksoe.at/podcast)
Quelle: kathpress