
Theologen warnen vor US-Einfluss: Europäische Kirche unter Druck
Als "brandgefährlich" bezeichnet die Innsbrucker Theologin Michaela Quast-Neulinger die zunehmende Aufweichung der institutionellen Trennung von Kirche und Staat in den USA: "Was wir erleben, ist eine Verschmelzung von Ideologien im christlichen Nationalismus, der sich verbündet mit einem entgrenzten Kapitalismus." Integralistische Strömungen und eine neue Eskalationsspirale würden demokratische Grundlagen untergraben und radikale Strömungen innerhalb von Kirche und Politik verstärken, so Quast-Neulinger im Interview mit der Kirchenzeitungs-Kooperationsredaktion (aktuelle Ausgabe). Zugleich wächst auch in Europa die Sorge über den Einfluss amerikanischer Kulturkampf-Strategien auf Kirche und Politik, wie der Religionshistoriker Massimo Faggioli im US-Magazin Commonweal darlegte.
Hintergrund ist u.a. die Ermordung des amerikanischen Polit-Aktivisten Charlie Kirk und dessen posthume Verklärung als Heiliger. Der New Yorker Erzbischof Kardinal Timothy M. Dolan verglich Kirk mit den Apostel Paulus: "Er war ein Missionar, er ist ein Evangelist, er ist ein Held".
In der US-Kirche sei die weltanschauliche Spaltung besonders ausgeprägt, sagte Quast-Neulinger. So würde rund die Hälfte der Bischöfe die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils ablehnen. Folglich werde auch Religionsfreiheit nicht mehr als Recht der einzelnen Person verstanden, sondern als Recht der Kirche, über Gläubige zu bestimmen. Dies sei "Ausdruck einer politischen Theologie, die eher Macht sichern will, als Menschenrechte zu achten", so die Theologin.
Die aktuelle Tendenz zeige in Richtung Vereinfachung, also "in links oder rechts und oben oder unten" einzuteilen, so die Theologin. Aber: "Das Leben ist vielfältiger! Theologie ist vielfältiger, Kirche und Politik sind vielfältiger, es gibt nicht nur schwarz oder weiß." Nötig sei die Fähigkeit, "auch Grautöne zu erkennen".
Eskalationsspirale angefeuert
Problematisch sei auch die "Eskalationsspirale", die von radikal-konservativer sowie von radikal-progressiver Seite vorangetrieben werde, meinte Quast-Neulinger. Dabei würde auch das "unheilige Dreierschema aus Abtreibung, Gender und Islam" instrumentalisiert, um gesellschaftliche Polarisierung zu verstärken. Historisch sei das Abtreibungsthema in den USA erst seit den 1980er-Jahren zu einem zentralen politischen Konfliktpunkt sowie "Superkleber zwischen verschiedenen Gruppierungen" geworden, "und dann ist Trump da aufgesprungen, weil es Macht sichert". Die Themen seien jedoch hochkomplex und müssten "jenseits aller Arroganz und Naivität, mit gutem Willen und immer in Anerkennung der unbedingten Würde des anderen" diskutiert werden.
Besorgt zeigte sich die Innsbrucker Theologin auch über den wachsenden Einfluss integralistischer Strömungen, die eine Rückkehr zu einem konfessionell geprägten Staat nach barockem oder mittelalterlichem Vorbild anstreben. In diesem Modell hätten Nichtchristen keine gleichen staatsbürgerlichen Rechte, "obwohl es zutiefst dem Christlichen widerspricht", betonte Quast-Neulinger. Wenn die Trennung zwischen Staat und Kirche aufgehoben werde, sei dies brandgefährlich. Genau das aber werde in den USA angestrebt, betonte die Theologin. "Man wollte es nicht wahrhaben, aber es liegt lange auf dem Tisch." Verbindungen gebe es auch nach Österreich.
Die Verflechtung von Religion und Politik in den USA nehme aktuell die Form eines christlichen Nationalismus an, der durch soziale Medien und Künstliche Intelligenz weiter beschleunigt werde. Als Gegenmittel nannte Quast-Neulinger Dialog und die Orientierung am biblischen Jesus: "Die Fähigkeit zum Kompromiss und die Fähigkeit, einander zuzuhören, sind hoch zu schätzen. Ehrlich aufeinander zu hören, das ist Synodalität." In Europa, insbesondere in Österreich, sei der Raum für solche Gespräche noch eher gegeben, während in den USA die Polarisierung das Miteinander zunehmend erschwere.
Faggioli: Import von Trumpismus
Laut dem US-Theologen Massimo Faggioli ist in Europa die Nervosität über den "Import von Trumpismus" spürbar. In Österreich zeigten sich, wie Faggioli meint, kulturkämpferische Dynamiken etwa im Umfeld der ÖVP. Faggioli nannte auch das Zisterzienserstift Heiligenkreuz und sprach von Verbindungen zu amerikanisch geprägtem Katholizismus.
Ähnliche Spannungen gäbe es in Deutschland, wo die katholische Kirche mit dem Erstarken der rechtspopulistischen AfD konfrontiert ist. Während die deutschen Bischöfe aber vor AfD-Positionen warnten, wachse die Attraktivität rechtspopulistischer Parteien unter katholischen Wählern. Debatten wie jene um den Auftritt des US-Bischofs Robert Barron, der in Deutschland polarisiert wahrgenommen wurde, verdeutlichen laut Faggioli die Zerrissenheit des Katholizismus in Europa.
"Was in Österreich und Deutschland geschieht, unterscheidet sich nicht wesentlich von den Entwicklungen in anderen Teilen Europas. Es scheint ein weiterer Schritt in der ideologischen Neugestaltung der Beziehung zwischen Katholizismus und Politik zu sein und signalisiert auch eine Abkehr der Kirche von ihrer Unterstützung für ein vereintes Europa", so das Fazit des Theologen. Denn auch wenn die Bischöfe öffentlich eine antipopulistische Haltung einnehmen, schließe dies ideologische Verschiebungen innerhalb des Klerus und der Laien nicht aus.
Der amerikanische Theologe sieht den europäischen Katholizismus an einem Scheideweg: Denn Globalisierung, Migration und politische Polarisierung veränderten seine Gestalt grundlegend. Die bisherigen Strukturen von Diözesen, theologischen Fakultäten und katholischen Verbänden würden an Bedeutung verlieren, während US-geprägte Formen von "kulturellem Katholizismus" an Einfluss gewinnen würden. Die Frage sei nun, ob der europäische Katholizismus an seiner Tradition des Zweiten Vatikanischen Konzils festhalten oder stärker in kulturkämpferische Muster abgleiten werde. (Link zum Artikel: https://www.commonwealmagazine.org/massimo-european-catholicism-leo-germany-austria-church)
Quelle: kathpress