
Baustart Sanierung: Wiener Stadttempel soll Haus der Zukunft werden
Die Restaurierung und Sanierung des Wiener Stadttempels hat am Freitag gestartet. Bis Herbst kommenden Jahres soll die bald 200 Jahre alte und älteste aktive Synagoge in Österreich "zukunftsfit" gemacht werden. Die Kosten belaufen sich auf 10,5 Millionen Euro. Neben Zuschüssen vom Bund und der Stadt Wien soll ein Drittel der Kosten durch Spenden finanziert werden. Prominente Unterstützung bei der Sammlung hat die Israelitische Kultusgemeinde dabei vom bekannten Wiener Künstler Gottfried Helnwein. Beim Baustart nahm er die ersten abmontierten Holzpaneele entgegen, die ihm als Fläche für ein neues Werk dienen werden. Dieses wird bei einer internationalen Kunstauktion 2026 versteigert. Ein darauf gezeigtes Kind der Wiener jüdischen Gemeinde stehe für die Zukunft des Judentums in Österreich.
Vergangenen Juni hat Helnwein Kinder der jüdischen Gemeinde zu einem Casting eingeladen und zehn Kinder für sein neues Projekt fotografiert. Die Fotografien wurden bei einer Pressekonferenz im Gebetsraum des Stadttempels am Freitag präsentiert und sind Zeichen dafür, dass die Restaurierung und Sanierung dieses österreichischen Kulturerbes den kommenden Generationen gewidmet ist, betonten Helnwein und die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG). "Was wir sehen, ist die nächste Generation und die Garantie, dass das Judentum immer Teil von Österreich und Wien sein wird", so der Künstler. Eines der zehn Kinder wird von Helnwein im Großporträt gemalt und das Gemälde auf die Holzpaneele affichiert.
Die einzige Synagoge in Wien, die in der Reichspogromnacht nicht zerstört wurde, sei ein Symbol für die Präsenz und die Kontinuität der Jüdinnen und Juden in Österreich. "Unsere jüdischen Mitbrüder haben die Wiener und österreichische Kultur wesentlich getragen und geprägt", hob Helnwein die Rolle von Schriftstellern von Zweig bis Kafka, von Wissenschaftlern und Musikern hervor, die Wien in Biedermeier und Gründerzeit zu einem kulturellen Zentrum Europas gemacht haben.
"Bereit für die Zukunft"
Über 800 Betende kommen zu den Hohen Festtagen in die Synagoge, tausende jüdische wie nichtjüdische Besucherinnen und Besucher zu einer Vielzahl an Kulturveranstaltungen jährlich, teilte die IKG mit. Im Jahr 2023 besuchten mehr als 12.000 Menschen im Rahmen von Führungen den Stadttempel. "Fast täglich kommen Schulklassen, um den Ort und seine Geschichte sowie das Judentum näher kennenzulernen." Die Restaurierung und Sanierung habe das Ziel, "dieses spirituelle und kulturhistorische Zentrum des österreichischen Judentums zu erhalten und bereit für die Zukunft zu machen", teilte die IKG mit. Mehr als 76 Prozent der benötigten Mittel sind bereits gesammelt.
"Wir haben uns in den letzten Jahren viel mit Zuhören und Zuschauen beschäftigt", betonten die verantwortlichen Architekten Natalie Neubauer und Eric Tschaikner (KENH Architekten). "Synagoge bedeutet auch Gemeinschaftshaus", sagte Tschaikner, der ein "inklusives und sicheres" Architekturkonzept präsentierte. Der Raum solle offen sein - bautechnisch, für die Zukunft und jene Besucherinnen und Besucher, die hierherkommen, um ihre Wurzeln zu suchen. So wird daran gearbeitet, Akustik, Raumklima, Sicherheit, Licht, Energieeffizienz und Barrierefreiheit zu verbessern. Eine Reorganisation der Abläufe soll das Gebäude für die Öffentlichkeit zugänglicher machen.
Glaubensleben während der Umbauzeit
Kommenden Montag (20. Oktober) wird die jüdische Gemeinde ein letztes Mal im Gebetsraum zusammenkommen. Bis zu den nächsten Hohen Feiertagen im September nächsten Jahres wird das Gemeindezentrum für die täglich drei Gebetszeiten genutzt, erklärte Oberrabbiner Jaron Engelmayer im Interview mit Kathpress. Der Stadttempel sei in die Jahre gekommen und eine Restaurierung dringend notwendig, die etwa die Wärme- und Kälteregelung und Zugänglichkeit durch barrierefreie Zugänge verbessere. "Mit Blick auf die zukünftigen Generationen wollen wir dafür sorgen, dass der Stadttempel weiterhin ein offenes Gebetshaus für alle bleiben kann und in dem man sich wohlfühlt", so Engelmayer.
Der Wiener Stadttempel wurde ab 1822 nach Plänen von k. k. Architekt Joseph Kornhäusel in einem Gebäudekomplex in der Seitenstettengasse 2-4 in der Wiener Innenstadt errichtet und am 9. April 1826 eröffnet. Seither wurde die Synagoge mehrfach renoviert und umgebaut und 1938 von den Nazis schwer verwüstet. Nur die enge Verbauung und die Tatsache, dass sich das Archiv mit allen Unterlagen über Juden und Jüdinnen im Gebäude befunden hatte, bewahrten die Wiener Hauptsynagoge während des Novemberpogroms vor der kompletten Vernichtung, wie die IKG auf ihrer Webseite informiert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Stadttempel unter der Verwendung geringer finanzieller Mittel instand gesetzt und wiedereröffnet. 1978 und 1988 fanden mehrstufige Umbauten statt. Dabei wurden der Eingangsbereich, das Gemeindezentrum, ein koscheres Restaurant und der Wintertempel geschaffen. Zu den künftigen Baumaßnahmen zählen etwa die Erneuerung des Foyers und Vestibüls, die Einrichtung eines Infopoints für Gäste, die Erneuerung der Sanitäranlagen sowie die Adaption und Erweiterung der Bima (Gebetskanzel).
Quelle: kathpress