Steindl-Rast: Mit Rilke dem großen Geheimnis des Lebens auf der Spur

Die lebenslange Lektüre des Dichters Rainer Maria Rilke, insbesondere "Die Sonette an Orpheus" in Einsiedler-Tagen, hat sein inneres Leben sehr verändert: "Rilke hat eine besondere Gabe, die Tiefen der menschlichen Seele und die Schönheit des Alltags in Worte zu fassen", beschrieb der bekannte Benediktinemönch und Mystiker David Steindl-Rast seine Faszination für den Lyriker im Interview mit dem neuen Kirchenzeitungsmagazin der Erzdiözesen Wien ("Himmel & Erde") und Salzburg ("gott sei dank"). Dabei spiele die Dankbarkeit eine entscheidende Rolle für ein erfülltes Leben. Dem Ordensmann gilt der Dichter als spiritueller Wegweiser, der mit seiner Dichtung dabei hilft, dem großen Geheimnis des Seins auf die Spur zu kommen.

"Er nennt das Geheimnis 'das Zentrum der Innerlichkeit' - er erforscht, was hinter den Dingen liegt, und lädt uns ein, im Alltäglichen das Wunder zu entdecken", liest Steindl-Rast Rilkes Dichtung auch als Ratgeber: In seinem Schreiben stecke die Haltung des Rühmens: "Das Leben auch im Vorläufigen und Vergänglichen würdigend anzunehmen. Das bedeutet, Dankbarkeit zu kultivieren, Schönheit auch im Unvollkommenen zu erkennen und das Leben mit einem offenen Herzen zu feiern." Sich in Dankbarkeit einzuüben bedeute darauf vertrauen zu können, ein erfülltes Leben zu haben, erklärte der 99-jährige Ordensmann.

"Dankbarkeit ist eigentlich das, was das Leben zur Freude macht", betonte Steindl-Rast. Es gebe Menschen, die alles haben, um ein freudiges, erfülltes Leben zu leben, und doch seien sie unglücklich, "weil sie eben undankbar sind, weil sie immer mehr wollen oder das wollen, was der andere hat, eben unzufrieden sind". Andere Menschen hätten in ihrem Leben viel Leid erfahren und strahlten dennoch Freude aus, "weil sie eben dankbar sind für jeden Augenblick und jeden Atemzug und alles, was das Leben uns immer noch schenkt". Für ihn sei jeder Tag "eigentlich ein überraschendes Geschenk", sagte Steindl-Rast. Sofern es sein Gesundheitszustand zulasse, nehme er am Leben der Mönchsgemeinschaft teil. Dankbar sei er auch dafür, dass er immer noch seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Schreiben, nachgehen könne.

HerzWerk

Im Sommer veröffentlichte Steindl-Rast zusammen mit der Soziologin Alexandra Kreuzeder das Buch "HerzWerk. Freude finden mit Rainer Maria Rilkes 'Sonetten an Orpheus'" anlässlich Rilkes 150. Geburtstag. Die "Sonette an Orpheus" haben das Hauptwerk Rilkes vollendet, so Steindl-Rast. "Danach hat er dann das Gedicht geschrieben, in dem es heißt, dass das Dichten in Bildern jetzt für ihn vollendet ist und jetzt Herzwerk beginnt." Das Herzwerk beginne sozusagen mit der Lektüre der Leserinnen und Leser und der Freude an seinem Schreiben. In 24 Meditationen setzen sich auch Steindl-Rast und Kreuzeder in "HerzWerk" mit den "Sonetten an Orpheus" auseinander, mit dem Ziel, die Freude an Rilke auch an ihre Leserschaft "weiterzuschenken", wie sie einleitend schreiben.

Seit seine Mutter dem 12-jährigen Steindl-Rast Rilkes Stundenbuch schenkte, begleitet ihn dessen Dichtung als "Licht und Leitstern", wie der 99-jährige Ordensmann im Buch erzählt. Die Sonette an Orpheus, die nur vier Jahre vor dem Tod des Dichters entstanden, seien geradezu "ein Füllhorn seiner schönsten, unvergesslichen Bilder". Sie hätten die christliche Bildersprache neu belebt und schenkten Zugang zu "unserer tiefen angeborenen Religiosität", so Steindl-Rast. "Während für viele Menschen heute die christliche Bildersprache nicht mehr lebendig ist und sie nicht mehr so anspricht, können wir auf dieser Ebene der Dichtung wieder Zugang finden zu unserer tiefen angeborenen Religiosität. Und das scheint mir heute eine ganz wichtige Aufgabe."

Quelle: kathpress