"Der Krieg lehrt beten"
Das heikle Verhältnis von Kirche und Staat zu Beginn des Ersten Weltkriegs und während der ersten Kriegstage - beleuchtet von der Grazer Kirchenhistorikerin Prof. Michaela Sohn-Kronthaler. Erschienen in der Juli-Ausgabe der Zeitschrift "miteinander" des Canisiuswerkes.
"Mit vollem Vertrauen auf die gerechte Sache unseres Vaterlandes ziehen unsere Söhne und Brüder in den Kampf. Wir aber, die wir zurückbleiben, wollten in diesen Tagen ernster Prüfung vor allem unser Auge und Herz zu dem Herrn der Heerscharen emporheben und ihn im Geiste demütiger und opferwilliger Buße bitten, die Waffen unserer Streiter zu segnen."
Dieses Zitat stammt aus einem am 28. Juli 1914 verfassten Hirtenschreiben des Wiener Kardinals Friedrich Gustav Piffl (1864 -1932), das er gemeinsam mit der kaiserlichen Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien in einer Sondernummer seines Diözesanblattes publizierte. Die Haltung des Wiener Metropoliten entspricht dabei generell der Einstellung der Bischöfe im Gebiet des heutigen Österreich. Diese waren überzeugt, dass es sich um einen gerechten, legitimen, notwendigen, ja aufgezwungenen Krieg handle, weil "unserm Friedenskaiser (...) das Kriegsschwert in die Hand gedrückt worden" sei. Dabei beriefen sie sich auf Augustinus und Thomas von Aquin, wonach ein gerechter Verteidigungskrieg um eines höheren Gutes, nämlich des Friedens willen, sittlich erlaubt und berechtigt sei.
Symbiose von Thron und Altar
Der Episkopat stellte sich loyal hinter das Herrscherhaus und seine Kriegspolitik, bestand doch zwischen den Bischöfen und der katholischen Dynastie eine jahrhundertelang gewachsene, enge Verbindung. Der Monarch hatte bis zur Einführung des neuen kirchlichen Gesetzbuches 1917 die meisten Oberhirten seiner Länder nominiert. Schon im Auswahlverfahren war die Loyalität der Kandidaten gegenüber den Habsburgern ein wichtiger Gradmesser für die Bischofsernennung. Das gute Einvernehmen von Kirche und Monarchie hatte zu einer Symbiose von Thron und Altar geführt.
In den Hirtenschreiben während des Ersten Weltkrieges wurden biblische Texte - wenn auch von den einzelnen Bischöfen in unterschiedlicher Intensität - auf teilweise selektive und problematische Weise, ohne Berücksichtigung des jeweiligen Kontextes der Heiligen Schrift, im Kriegsdiskurs aktualisiert. Gott, davon waren die katholischen Bischöfe Österreichs fest überzeugt, stand in diesem "gerechten Krieg" auf der Seite Österreichs.
Der Krieg wurde somit religiös-theologisch gedeutet: als göttlicher Entschluss, den Menschen Zeiten der Prüfung zu schicken; als pädagogisches Instrument zur sittlichen Läuterung und Besserung der Völker; als Strafgericht Gottes für die Sünden der Menschen; als Tugendschule für die Guten; als eine Zeit, in der die "Nächstenliebe schöner und vielgestaltiger geübt werden kann"; als "große Volksmission", um die Christen zu einer intensiveren Glaubenspraxis zurückzuführen.
"Der Krieg lehrt beten"
So verknüpften Bischöfe und Seelsorger mit dem Krieg auch die Erwartung eines religiösen Aufbruchs, der eine moralische Erneuerung und intensivere Sakramentenpraxis bewirken sollte. Wenige Wochen nach dem Krieg berichtete etwa der St. Pöltner Bischof Johannes B. Rößler erfreut von "der großen Schar der Beter, welche die Kirchen füllten und die heiligen Sakramente empfingen". Der Seckauer Bischof Leopold Schuster titulierte den Krieg gar als "eine Quelle reichen Segens, vieler Gnaden und Bekehrungen" und gebrauchte die berühmte Redewendung "Der Krieg lehrt beten."
Der Wiener Klerus konstatierte "einmütig eine Förderung des religiösen Lebens durch den Krieg" und auch einen "religiösen Aufschwung". Noch zu Weihnachten 1916 hielt der Episkopat fest, dass der Krieg zu einer "segensvollen Erneuerung und Vertiefung des christlichen Lebens in religiösen Vereinen und charitativen Verbänden, offenem Bekennermut zahlreicher Laien, lieblichem Blühen reinen Familienlebens, gottgeweihter Jugend, stillem Duldersinn, ja heiligmäßigem Tugendstreben" geführt habe. Am Ende des Krieges jedoch mussten die Bischöfe ernüchtert in einem Hirtenschreiben einräumen, dass es zu keiner Zunahme der Glaubenspraxis gekommen war, mehr noch, dass der Krieg einen sittlichen Niedergang und einen Rückgang der Nächstenliebe zur Folge gehabt hatte.
Kriegstheologie und Friedenshoffnung
Als problematisch erwies sich in der Liturgie insbesondere die Rede vom "gerechten Krieg", öffnete dieses Schlagwort doch Tür und Tor zur Instrumentalisierung der Gottesdienste: In den beiden ersten Kriegsjahren dominierten "Kriegsandachten", "Kriegsgottesdienste", "Kriegspredigten" und "Kriegsbittprozessionen" das religiös-kirchliche und liturgische Leben. Die Verkündigungssprache wurde militarisiert. Der Brixener Bischof Franziskus Egger sprach vom "Geistesschwert des heiligen Rosenkranzes", das von Tausenden "geschwungen" wurde, andere Bischöfe ordneten einen "Gebetsfeldzug unter der Anrufung Unserer lieben Frau vom Siege zur baldigen Erlangung des Sieges und eines ehrenvollen, dauernden Friedens" an. Es wurden Gebete für Kaiser und Soldaten angeordnet, die Heiligen um Hilfe angerufen. Kardinal Piffl stellte den Soldatentod unter Berufung auf Thomas von Aquin auf die gleiche Stufe mit dem Märtyrertod.
Aufgrund des für Österreich-Ungarn ernüchternden Kriegsverlaufes wurde die bischöfliche Kriegstheologie ab 1916 verstärkt mit Friedenshoffnungen kombiniert. In den kirchlichen Amtsblättern ist somit ein paradoxes Nebeneinander von bischöflicher Kriegsaffirmation und Kriegstheologie, aber auch des Gedenkens für die Soldaten und deren Familien, des bemerkenswerten karitativen Einsatzes für die Leidenden und Kriegsopfer durch Kirche und Klöster sowie der wachsenden Friedenssehnsucht zu beobachten.
Päpstliche Friedensinitiative
Ein unermüdlicher Mahner zum Frieden war der damalige Papst selbst, Benedikt XV. (1914-1922), dessen Pontifikat vom Ersten Weltkrieg und seinen Folgen fast zur Gänze überschattet wurde und dessen Friedensbemühungen damals wie heute zu wenig gewürdigt wurden bzw. werden: In seinen Schreiben setzte er im wahrsten Sinne des Wortes unerhörte Aktivitäten für die Völkerverständigung, -versöhnung und -frieden. Er warnte vor einem überzogenen Nationalismus und betonte den katholischen, alle Völker umfassenden Gedanken.
In seinem Friedensdienst wurde er von seinen eigenen Bischöfen jedoch kaum ge stützt. Nur wenige mutige Priester, wie der vor 70 Jahren durch die Nationalsozialisten hingerichtete, exemplarisch angeführte Ökumeniker Max Josef Metzger (1887-1944), der 13 Jahre in Graz wirkte, folgte dem pazifistischen päpstlichen Vorbild. Metzger entwarf ein Friedensprogramm und gründete das Weltfriedenswerk vom Weißen Kreuz, das im heutigen Christkönigs-Institut bei Augsburg fortbesteht.
Autorin:
ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Michaela Sohn-Kronthaler, Studium der Katholischen Fachtheologie, Selbstständigen Religionspädagogik und Christlichen Philosophie; ist Leiterin des Instituts für Kirchengeschichte und Kirchliche Zeitgeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz.