
Innovativer Ansatz quer zum Öko-Diskurs
Mit "Laudato si" hat Papst Franziskus wieder einmal unter Beweis gestellt, dass wahre Innovation darin besteht, "quer zu üblichen Diskurs-Strukturen zu denken und zu formulieren". So lautet eine erste Einschätzung der neuen Öko-Enzyklika durch den Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück. "Laudato si" biete "in ihrer theologischen Ausrichtung ebenso wie in ihrer synthetischen Gesamtschau der weltweiten Krise" eine "wohltuende Irritation" in einer Diskurs-Landschaft, die sich immer weiter in Einzeldebatten ausdifferenziere, ohne den Gesamthorizont der Krise in den Blick zu nehmen, so Tück im Gespräch mit "Kathpress".
Als besonders bemerkenswert hebt Tück hervor, dass Franziskus mit dem orthodoxen Patriarchen Bartholomais I. und dem muslimischen Theologen Ali Al-Khawwas gleich zwei nicht-katholische Stimmen in einem päpstlichen Lehrschreiben zitiert. Dies weise ebenso wie die Tatsache, dass der Adressat der Enzyklika letztlich alle Menschen sind, auf Franziskus' Überzeugung hin, dass die angesprochene öko-soziale Krise eine umfassende Krise darstelle, auf die nicht allein ein Land oder eine Glaubensgemeinschaft eine Antwort geben könne, so Tück.
Ebenso außergewöhnlich sei es, dass sich Franziskus immer wieder auf den deutschen Theologen Romano Guardini (1885-1968) beruft - und zwar vor allem auf dessen kritische Diagnose vom "Ende der Neuzeit". In seinem gleichnamigen Buch aus dem Jahr 1950 hatte Guardini - noch unter den Eindrücken des Zweiten Weltkriegs - ein dunkles Bild des Menschen gezeichnet, der in der Gefahr stehe, auf der einen Seite in maßloser Hybris sich an die Stelle Gottes zu stellen und zugleich durch ein rein instrumentelles Menschenbild sich aus der Verantwortung für sein Handeln in der Welt zu stehlen.
Es seien diese Überlegungen, an die Franziskus bei seiner Schilderung der "Baufälligkeit des gemeinsamen Hauses" bewusst anknüpfe, so Tück - und zwar nicht in erster Linie, um konkrete Antworten zu geben, sondern um "eine Haltung der Compassion, des mitfühlenden Schmerzes" bei den Lesern hervorzurufen, in der für den Papst der Kern jeder Umkehr begründet liege. In diese Richtung weisen laut Tück auch die ästhetischen Exkurse insbesondere im letzten Kapitel zu einer umfassenden ökologischen Spiritualität und Erziehung, sei doch die Ästhetik "jener Verbündete, mit dessen Hilfe man einer eindimensionalen Zweckrationalität widerstehen kann, die gerade die Wurzel allen Übels ist", so der Theologe.
Tück zeigte sich zugleich überzeugt, dass Franziskus mit seiner Enzyklika auch bei "säkularen, religiös unmusikalischen Zeitgenossen" auf offene Ohren stoßen werde. Schließlich wähle er eine Sprache und einen Stil, der sich auch säkularen Menschen erschließen könne, etwa wenn er für eine neue "Kultur der Achtsamkeit", eine "ökologische Umkehr" und eine "Verlangsamung" der Lebensrythmen plädiere.