
Für Neubewertung der Homosexualität
Bei der Bewertung von Homosexualität in der katholischen Kirche sollte statt der traditionellen Sexualmoral eine "Beziehungsethik" zum Tragen kommen. Der Freiburger katholische Theologe Eberhard Schockenhoff plädierte in einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe der Linzer "Theologisch-praktischen Quartalschrift" (ThPQ) für einen geänderten Blick auf gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften und die in ihnen gelebte Sexualität: "Wo immer Werte wie Freundschaft, Verlässlichkeit, Treue, Füreinander-Einstehen und Verantwortung gelebt werden, verdient dies moralische Anerkennung, unabhängig davon, unter dem Vorzeichen welcher sexuellen Orientierung dies geschieht."
Diese moralische Anerkennung gelte dann nicht nur den jeweiligen Partnern als Individuen oder Privatleuten, "sondern auch der öffentlichen Lebensform (eingetragene Lebenspartnerschaft), die sie gewählt haben, um ihrem Zusammensein rechtliche Verbindlichkeit und institutionellen Schutz zu geben", schrieb Schockenhoff.
Der in Freiburg lehrende Theologe erinnerte daran, dass die traditionelle Sexualmoral gleichgeschlechtliche Handlungen als "in sich ungeordnet und innerlich schlecht" bewertete, da sie den Naturzweck der Sexualität, die Zeugung von Nachkommenschaft, nicht verwirklichen könne. Diese naturrechtliche Betrachtungsweise vermöge jedoch nicht zu erklären, warum die nicht realisierte Fortpflanzungsfunktion menschlicher Sexualität die anderen Sinndimensionen entwertet, die ebenso zur Bedeutungsfülle menschlicher Sexualität gehören: Schockenhoff nannte die Lustfunktion, die Beziehungsfunktion und die "identitätsverbürgende Funktion im Sinne der existenziellen Erfahrung von Intimität und Geborgenheit".
Der Moraltheologe ortet hier für seine theologische Disziplin einen "Wechsel in der Argumentationsweise" in Richtung einer "Beziehungsethik". Nimmt man die Grundthese der mehrdimensionalen Sinnhaftigkeit menschlicher Sexualität ernst, führe dies zur "Abkehr von einer objektivistischen Aktmoral", die den sittlichen Wert sexueller Einzelhandlungen von ihrer Übereinstimmung mit ihrer biologischen Ausrichtung auf die Fortpflanzung her beurteilt. Eine theologische Beziehungsethik bewerte demgegenüber das sittliche Verhalten einer Person im Rahmen einer "Haltungsethik, die von den Grundeinstellungen der Person her denkt, die sich in ihren sexuellen Handlungen verleiblichen".
"Unauflöslich" macht heute Angst
Schockenhoff widmet sich in seinem Beitrag "Liebe auf Abwegen? Zum Verhältnis von Sexualität und Liebe in intimen Beziehungen" in der ThPQ auch dem Problem, das auch heterosexuell orientierte Partner mit dem hohen Anspruch einer unauflöslichen Ehe haben. Die gestiegene Lebenserwartung und der Rückgang der Kinderzahl sind laut Schockenhoff von erheblicher Bedeutung für das eheliche Zusammensein. Am Beginn des 20. Jahrhunderts habe die Zeit, die Ehegatten ohne ihre Kinder zusammen waren, nur wenige Jahre betragen. Heute dauere die so genannte "Altersehe" im Anschluss an die Familienphase 30 Jahre und länger. Wer heute von der "lebenslangen Ehe" spreche, tue dies über eine Institution, "die es in dieser Form bislang in der Geschichte noch nicht gegeben hat".
Der Pluralisierung der Lebensformen und den brüchig gewordenen Institutionen in der Postmoderne hält er dabei die Überzeugung des Psychoanalytikers Erich Fromm entgegen. In dessen Klassiker "Die Kunst des Liebens" heißt es: "Einen anderen zu lieben ist nicht nur ein starkes Gefühl - es ist eine Entscheidung, ein Urteil, ein Versprechen. Wäre die Liebe nur ein Gefühl, gäbe es keine Basis für das Versprechen, einander für immer zu lieben."
Die Unauflöslichkeit der Ehe sei heute keine normative Erwartung, die von außen an diese herangetragen würde, erklärt Schockenhoff. "Sie ist vielmehr eine Forderung, welche die Ehepartner, indem sie ihrer Liebe vertrauen, an sich selbst stellen." Eine solche Lebensentscheidung impliziere die freie und definitive Selbstbestimmung beider Partner zu dem gemeinsamen Willen, "dem Wachsenkönnen ihrer Liebe keine Grenzen zu setzen".
Quelle: kathpress