Kirchenreform und ungewohnte Kritik am Papst
Dan Browns Bücher sind Kinderkram gegenüber dem, was sich gerade im Vatikan rund um Papst Franziskus abspielt. So könnte man meinen. Wenn man den raunenden Interpreten der großen Vatikan-Verschwörung glauben schenkt. Erst ein offener Brief mit kritischen Anfragen von Kardinälen an Franziskus, dann der Konflikt im Malteser-Orden, die papstkritischen Plakate und schließlich eine Fake-Ausgabe des "Osservatore Romano" mit papstkritischem Inhalt - schlägt da ein konservatives Netwerk zurück, wie manche meinen, die unter Franziskus die Kirche den Bach runter gehen sieht? Sind es gar Symptome einer tiefen Spaltung in Kurie und Episkopat?
Sucht man nach dem Ursprung all dieser Querelen, so stößt man rasch auf das vielleicht umstrittenste päpstliche Dokument seit "Humanae vitae": Das Schreiben "Amoris laetitia". Eigentlich geht es darin um das denkbar weite Feld der Familienseelsorge und um nicht weniger als einen Neuansatz in der pastoralen Hinwendung zu den Familien als Orte und Horte des Glaubens. Doch die Diskussion hat sich festgebissen an der Frage des Kommunionempfangs für wiederverheiratete Geschiedene. Skeptiker sprechen von einem "faktischen Schisma", das sich entlang der Frage der Unauflöslichkeit der Ehe durch die Weltkirche ziehe. Andere, wie der Pastoraltheologe Paul Zulehner, sehen schlicht eine "neue pastorale Kultur" der Zugewandtheit, die Papst Franziskus wünsche.
Krach um eine Fußnote
Auslöser der Debatte ist Fußnote Nummer 351. Darin heißt es, wiederverheiratete Geschiedene könnten in "gewissen Fällen" auch die "Hilfe der Sakramente" in Anspruch nehmen. Dies ist die einzige Stelle in "Amoris laetitia", die sich auf einen etwaigen Kommunionempfang von wiederverheirateten Geschiedenen bezieht. Zumindest dem Wortlaut nach, darin sind sich viele einig, kann man das als Neuerung verstehen: Künftig müssten wiederverheiratete Geschiedene demnach in ihrer zweiten Verbindung nicht mehr sexuell enthaltsam leben, um die Kommunion empfangen zu können, wie es bislang gültige Lehre war.
Kritiker wie der italienische Kardinal Carlo Caffarra argumentieren allerdings, man könne die kirchliche Lehre der vergangenen Jahrhunderte nicht im Handstreich mit einer einzigen Fußnote über Bord werfen. Wenn der Papst dies hätte tun wollen, dann hätte er eine klare Ansage machen müssen. So schaffe er jedoch nur Unklarheit. In diesem Fall aber gelte die alte kirchliche Praxis, dass in Zweifelsfällen die bisherige Lehre Richtschnur für die Interpretation eines päpstlichen Dokuments sei. In diesem Sinne hatte sich auch der deutsche Kurienkardinal Walter Brandmüller geäußert.
Knapp ein halbes Jahr nach "Amoris laetitia" veröffentlichte die Vatikanzeitung "Osservatore Romano" zuletzt eine "Orientierungshilfe" argentinischer Bischöfe für ihre Geistlichen. In einem Brief lobte der Argentinier Franziskus diese Handreichung; sie habe den Geist von "Amoris laetitia" vollauf erfasst. Es gehe um "Begleiten, Unterscheiden und Integrieren" in schwierigen Lebenssituationen. "Es gibt keine anderen Interpretationen", so der Papst. Inhaltlich schlagen die Argentinier einen Mittelweg zwischen Rigorismus und Laissez-faire ein. In den Worten der Bischöfe: "Es muss die generelle Möglichkeit eines Zugangs zu den Sakramenten ausgeschlossen bleiben - es sei denn, eine Situation rechtfertigt das."
Kommunionempfang ermöglichen oder nicht?
Schlagzeilen machte vor kurzem der Präsident des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte, Francesco Coccopalmerio: Wenn "mit Aufmerksamkeit und ohne Vorurteile und - hoffentlich - treu analysiert alle Elemente" des Papstschreibens zu Ehe und Familie bedacht würden, lasse sich "die eventuelle Zulassung zu den Sakramenten der Beichte und Eucharistie bewerten", sagte Coccopalmerio bei einer Buchpräsentation im Vatikan.
Zuvor hatte u.a. auch die Kirche in Malta von der Möglichkeit gesprochen, wiederverheiratet Geschiedenen den Zugang zur Eucharistie zu ermöglichen. Das ließ aufhorchen, weil Malta als eines der letzten fast geschlossenen katholischen Milieus gilt - und weil der neue Verantwortliche, Erzbischof Charles Scicluna, ein Kirchenrechtler ist, der aus dem Innersten des Vatikan kommt. Er promovierte übrigens beim heutigen Wortführer der konservativen Opposition, Kardinal Raymond Leo Burke - über das Ehesakrament.
Kann also nun jeder Diözesanbischof in dieser Frage tun, was er will? Der deutsche Kurienkardinal und oberste Glaubenshüter Gerhard Ludwig Müller vollführte zuletzt einen interessanten Doppelschachzug. Er dekretierte, dass die von manchen kritisierten Unschärfen in "Amoris laetitia" keine "Gefahr für den Glauben" darstellten. Daneben steht unkommentiert seine Ansprache vor der Weltfamiliensynode im Vatikan 2014/15. Und die ist in der Frage der Ehepastoral ähnlich glashart wie die Position von Burke und Caffarra.
Kein Patentrezept
Papst Franziskus selbst sagte jüngst in einem Interview: "Einige kapieren es immer noch nicht." Das ist eine ziemlich eingängige Aussage. Viel eingängiger jedenfalls als die komplexe Gewissensentscheidung, vor der die Seelsorger nun in ihrem pastoralen Alltag stehen. Vielleicht sollten alle einfach zurück an den Start. Und dort wartet - Kardinal Christoph Schönborn. Dieser hatte "Amoris laetitia" auf Wunsch des Papstes am 8. April 2016 im Vatikan präsentiert und seither mehrfach festgehalten, "Amoris laetitia" stehe fest auf dem Boden der kirchlichen Tradition, er schreibe die Lehre jedoch weiter - wie im Fall des Umgangs mit wiederverheiratet Geschiedenen: "Da gibt es kein Patentrezept", so Schönborn.
zuletzt bearbeitet am 17. Februar 2017
von Henning Klingen
mit Material von Kathpress & KNA