Theologin: Neue Nationalismen als Reaktion auf Corona nicht christlich
Die Corona-Krise zeigt die Licht- und Schattenseiten der Globalisierung auf. Letztere führen nach den Worten der Wiener Pastoraltheologin Regina Polak zu einer "Sehschwäche gegenüber der Zusammengehörigkeit der einen Menschheit, die wir derzeit in den politischen und medialen Diskursen beobachten". In ihrem auf "theocare.network" veröffentlichten Beitrag verwies sie auf weltweit erwachende nationalistische Strömungen, die Zoonose (von Tier zu Mensch übertragbar, Anm.) neuartiger Viren, auf "Schieflagen einer globalisierten Ökonomie" und auf den "Verlust öffentlicher Räume, auf die demokratische und politische Prozesse angewiesen sind". All das stehe der Einheit der Menschheit entgegen, die im Christentum "eine eschatologische Verheißung" sei, wie Polak hinwies.
Für die Theologin ist der Rückzug in private, regionale und nationale Räume "keine christliche Option". Polak bezeichnete den erst jüngst beim Hochfest erlebbaren "Pfingstgeist" als Ermutigung zur "nötigen Weite des Denkens, Lebens und Handelns". Pfingsten als Geburtstag einer transnationalen, transkonfessionell katholischen Kirche stehe für das "bewusste Aufsuchen von Menschen und Situationen, die mir fremd sind, die ich nicht kenne, und deren Freude und Hoffnungen, Sorgen und Ängste (Gaudium et Spes 1) ich als Christin zu teilen verpflichtet bin".
Diese Offenheit für Fremdes könne der mit der Corona-Krise verbundenen Erosion und dem Verlust öffentlicher Räume entgegenwirken, auf die demokratische und politische Prozesse angewiesen sind, so Polak. Das gebotene und medizinisch sinnvolle Social Distancing forciere nämlich den "Rückzug in die privaten Räume und die je eigenen sozialen Blasen". Von dort aus könne man nur erschwert wahrnehmen, wie es Menschen außerhalb des eigenen Einzugsbereiches tatsächlich geht: "Vulnerable Menschen und Gruppen geraten aus dem Blickfeld."
Dies könnte zu den bedrohlichsten Folgen der Maßnahmen gegen die Pandemie gehören, die damit verbundene Entpolitisierung "macht mir große Sorgen", wie Polak schrieb. Denn öffentliche Räume, in denen man auch anderen, fremden Menschen begegnen und sich mit ihnen auseinandersetzen muss, seien unverzichtbar für jegliche demokratische und politische Prozessen. "Durch digitale Räume können sie nicht einmal annähernd ersetzt werden", erklärte die Theologin.
"Da draußen" geht das Leben weiter
Nur der "leibhaftig geteilte öffentliche Raum" zwinge zur Konfrontation mit den jeweils Anderen in ihrer Andersheit. Gerade die privilegierteren Schichten der Gesellschaft stünden mit der Möglichkeit des Rückzugs in das Home Office vor der Gefahr, soziopolitisch gefährliche Entwicklungen zu übersehen, so Polak. "Medialer Konsum allein genügt da nicht zur Abhilfe." "Da draußen" gehe das Leben weiter. Und für viele Menschen gehe es nicht gut weiter.
Arme und Marginalisierte sind von der Pandemie wie ihren Folgen weltweit mehr betroffen als die global privilegierte Elite, die im Home Office geschützt war und ist.
Die Globalisierung als mehrdeutiges und jedenfalls irreversibles Phänomen müsse hinkünftig kritisch und differenziert betrachtet und nachjustiert werden, so die Überzeugung der Theologin. In deren Zuge sei es auch zu einer beeindruckenden Explosion kreativer und innovativer Ideen zur Krisenbekämpfung in der globalen Zivilgesellschaft gekommen. Nach den Worten Polaks stünden gerade auch Christen in der Zeit nach Corona vor Fragen wie: Wie solche Räume des Austausches auch inmitten physischer Beschränkungen eröffnen? Und: "Wie fördern wir inmitten lokaler und nationaler Probleme das Bewusstsein einer globalen Welt?" Ein pfingstlicher Geist könne hier Impulse geben. (Wortlaut des Beitrags: https://theocare.wordpress.com/2020/06/02/das-ende-der-globalisierung-die-pfingstliche-erinnerung-an-die-einheit-der-menschheit-regina-polak)
Quelle: kathpress