Theologe: Verbindung von Thron und Altar ebnete dem Recht den Weg
Es gilt in der zeitgenössischen christlichen Theologie als ausgemacht, dass die Allianz von Thron und Altar zu den verheerendsten Fehlentwicklungen für das Christentum wie für den Staat geführt hat. Zum Sinnbild dieser Entwicklung, der die Schuld u.a. für ungezügelte, religiös verbrämte Gewalt gegeben wird, wurde die "Konstantinische Wende" im 4. Jahrhundert, mit der das Christentum zur Staatsreligion und zur politischen Weltmacht wurde. Zweifel an diesem theologischen Narrativ meldete nun der Wiener Alttestamentler Prof. Ludger Schwienhorst-Schönberger an. Vielleicht, so stellte er bei einer Tagung am Samstag in Heiligenkreuz in den Raum, sei die Allianz von Thron und Altar gar kein "prinzipieller Verrat am Evangelium", insofern ihr auch die Bannung der Gewalt durch das Recht entsprang.
Gewiss sei das der Bibel inhärente Prinzip einer "Eingrenzung der Gewalt durch rechtmäßige Gewalt" im Zuge des Politisch-Werdens von Religion nicht immer gelungen, räumte Schwienhorst-Schönberger ein; vom Grundprinzip her sei das Politisch-Werden von Religion bzw. das Miteinander-Ringen von Religion und Politik jedoch eine Triebfeder der Einhegung von Gewalt. Und so nehme das Christentum mit der "Konstantinischen Wende" gewissermaßen das Angebot an, "das in der Bibel zutiefst begründete Prinzip der Eingrenzung der Gewalt durch rechtmäßige Gewalt mit dem Geist des Evangeliums zu durchdringen."
Insofern sei das Christentum mit der Verbindung von Thron und Altar "vielleicht doch nicht ganz in die Irre gegangen", so Schwienhorst-Schönberger, freilich ohne dies als ein Plädoyer für eine Renaissance eben dieser Allianz gemeint zu haben. Es ginge ihm vielmehr "ums Prinzip":
Denn genau in jenen Ländern, in denen die beiden Gewalten, die geistliche wie die weltliche, miteinander rangen und keine von beiden die andere vollständig verdrängen konnte, sollte sich ein Prozess entwickeln, der mit der Gewaltenteilung und der Herausbildung des Rechts und der Bindung der Gewalt an das Recht den Prozess der Zivilisation entschieden voranbrachte.
Wider die "Herzensverhärtung"
In seinem Vortrag zeigte der an der Universität Wien lehrende Alttestamentler zunächst anhand von biblischen Beispielen auf, dass das Christentum "keine politisch-revolutionäre Bewegung" gewesen sei, sondern vielmehr von seinem Ursprung her "loyal zum römischen Staat" stand und also die staatliche Gewalt anerkannte und respektierte. Denn bereits dem Alten Testament sei von der Schöpfungserzählung an eingeschrieben, dass es danach trachte, Gewalt an das Recht zu binden. Anstelle der willkürlichen Bestrafung der Menschheit durch die Götter lasse sich etwa anhand der Sintfluterzählung aufzeigen, wie die Bibel auf die Etablierung eines Rechtssystems drängt, das klare Regeln kennt, die blinde Gewalt in die Schranken weisen.
Notwendig sei diese Bindung der Gewalt an das Recht im biblischen Kontext auch deshalb, weil das menschliche Herz "böse 'von Jugend an'" sei, wie es in einer theologischen Tiefenschicht des Alten Testaments heiße. Überwunden werden könne diese tief im Menschen verankerte Bosheit des Herzens, wie sie im Brudermord Kains an Abel sichtbar werde, laut biblischer Überzeugung in einem ersten Schritt durch das Recht und die "Eingrenzung der Gewalt"; die "Herzensverhärtung" des Menschen könne in ihrer ganzen Tiefe jedoch nur durch Gott selber gelöst werden, unterstrich Schwienhorst-Schönberger.
Schwienhorst-Schönberger äußerte sich bei einem Vortrag im Rahmen des zweitägigen Symposions "Gott & Gewalt" an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. im Stift Heiligenkreuz bei Wien. Die Tagung war am Freitag, 16. November, mit einem Festvortrag des Kölner Mediziners und Theologen Manfred Lütz über dessen neues Buch "Der Skandal der Skandale" eröffnet worden. Am Samstag referierten neben Schwienhorst-Schönberger u.a. der an der Heiligenkreuzer Hochschule lehrende Moraltheologe Kosmas Lars Thielmann ("Ist Gewalt der Preis des Monotheismus?"), der Erlangener Islamwissenschaftler und Philosoph Jörn Thielmann ("Ist Gewalt die Frucht der Säkularisierung?"), der Historiker und Klosterneuburger Ordensmann Nicolaus Buhlmann ("Von kalter und heißer Religion"), sowie der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück ("Gewaltige Gewaltlosigkeit"). Der Vortrag von Ludger Schwienhorst-Schönberger bildete zugleich den Abschluss der Tagung.
Tück: "Gewaltlosigkeit ist Stärke des Christentums"
Auf einer gänzlich anderen Ebene näherte sich indes der Wiener Dogmatiker Prof. Jan-Heiner Tück der Frage nach dem Gewaltpotenzial der Religion. Tück, der am Samstagvormittag referierte, nahm dabei die These des deutschen Ägyptologen und Kulturwissenschaftlers Jan Assmann auf, demzufolge Religionen nur durch die Absage an ihren absoluten Wahrheitsanspruch in ihrer potenziellen gewaltvollen Expansion gehindert werden können. In dieser Perspektive gerate laut Tück jedoch leicht aus dem Blick, "dass im Zentrum der christlichen Religion ein Opfer - und eben nicht ein Täter - von Gewalt steht". Das Kreuz zeige schließlich keinen strahlenden Sieger, sondern "einen schwachen, gedemütigten, leidenden Menschen".
Daraus folge, dass "gerade in der Schwäche und Gewaltlosigkeit die eigentliche Stärke der christlichen Religion gesehen werden kann", so Tück weiter. Eine "Einklammerung der Wahrheitsüberzeugungen", wie sie Assmann vorschlage, halte er daher auch für "den falschen Weg", da dies "am Selbstverständnis religiöser Akteure vorbeigeht, die an der Wahrheit, von der sie sich angesprochen wissen, dankbar und entschieden festhalten möchten". Der von Assmann ins Feld geführten "Religio duplex" setzte Tück daher in seinem Vortrag den Vorschlag eines "kenotischen Inklusivismus" entgegen, d.h. eines Beharrens auf dem Wahrheitsanspruch des Christentums unter Berücksichtigung des Aufscheinens dieser Wahrheit auch in anderen Religionen und Bekenntnissen.
Dies bedeute weder, einer "pluralistischen Religionstheologie" das Wort zu reden, noch einen religiösen "Relativismus", führte Tück weiter aus; vielmehr basiere sein Ansatz auf der theologischen Grundüberzeugung, dass die Rede und Überzeugung von der "Gotteskindschaft aller Menschen" schließlich durch das "Prinzip der Menschenwürde" Eingang in die Verfassung des säkularen Rechtsstaates insgesamt gefunden habe. Unter anderem würde das Modell eines "kenotischen Inklusivismus" auch darauf drängen, "mit Juden und Muslimen nach Allianzen zu suchen und die Absage an religiöse Gewalt mit dem Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt zu verbinden".
Quelle: kathpress