
Werteforscher Friesl
Weiterhin hohe Präsenz des Christlichen in Österreich
Werteforscher Friesl
Weiterhin hohe Präsenz des Christlichen in Österreich
Die religiöse Praxis in Österreich nimmt ab, der Glaube an religiöse Inhalte dagegen ist in den vergangenen drei Jahrzehnten sehr stabil geblieben. Der Wiener Theologe und Werteforscher Christian Friesl fasste die religionsbezogenen Ergebnisse der jüngsten Europäischen Wertestudie (EVS, 2018) am Freitag bei der Österreichischen Pastoraltagung in Salzburg-St.Virgil wie folgt zusammen: "Auch wenn eine 'Entkoppelung' von konfessioneller Zugehörigkeit und religiöser Praxis einerseits und Weltanschauung und Selbstverständnis andererseits festzustellen ist, ist die Präsenz des Christlichen in Österreich bemerkenswert hoch."
Seit 1990 hätten sich Studiendaten dazu nur wenig verändert, legte der seit damals mit der ca. alle zehn Jahre durchgeführten EVS befasste Friesl dar. Fast zwei Drittel der 2018 befragten Personen betrachten sich selbst als religiös, drei Viertel geben an, an Gott zu glauben - mehrheitlich freilich an ein "höheres Wesen" und nicht an einen persönlichen Gott, wie ihn das Christentum bekennt. Sogar gestiegen gegenüber der Vorgänger-Studie von 2008 ist der Glaube an ein Leben nach dem Tod, ebenso an die Existenz von Himmel und Hölle.
Die Kirchen als Institutionen können davon allerdings nicht profitieren. Indikatoren wie Gebets- und Messbesuchspraxis gehen seit 1990 zurück, und anders als in Polizei, Bundesheer, Gewerkschaften und Regierung ging das Vertrauen in die Kirche im vergangenen Jahrzehnt weiter zurück.
Wertebildung als Chance
Dabei könnte der Umstand, dass Wertebildung in einer pluralistischen Gesellschaft eine besondere Herausforderung darstellt, eine Chance für die Kirchen darstellen. Die vom Evangelium herleitbaren Themen der Freiheit und Gerechtigkeit müssten in Bereichen wie Arbeit und Beruf, Diversität und Zuwanderung konkretisiert und gesellschaftsrelevant formuliert werden. Friesl regte vor den rund 400 Teilnehmern an der größten Seelsorge-Weiterbildungsveranstaltung in Österreich eine "Theologie und Praxis des Diskurses und Konflikts" an, die sich den gesellschaftlichen Herausforderungen stellt - "professionell, kantig, optional", wie er empfahl.
Erfolgreich könnten kirchliche Beiträge zur Wertebildung aber nur dann sein, wenn sie von einer glaubwürdigen Hinwendung zur Person geprägt seien, gemäß der im Markusevangelium festgeschriebenen Leitfrage "Was willst du, dass ich dir tun soll?" Angesichts der seelsorglichen Aufgaben in der postmodernen Gesellschaft denke die Pastoraltheologie durchaus in die richtige Richtung, meinte Friesl - und schränkte mit einem angefügten "Allerdings" gleich wieder ein: "Was tut sich wirklich jenseits der Pfarrgemeinden? Was in den Städten, bei Führungskräften, in den sozialen Medien?" Selbstkritische Anmerkung des früheren Präsidenten der Katholischen Aktion Österreichs an sein vorwiegend in der Seelsorge und Religionspädagogik tätiges Publikum: "Wir sind seit Jahrzehnten mit uns selbst beschäftigt."
In seinem Vortrag präsentierte Friesl weitere Eckdaten aus der Europäischen Wertestudie: weiterhin höchster Stellenwert für die mikrosozialen Lebensbereiche Familie, Freunde, Freizeit; Arbeit muss laut Studie mit Lebensqualität kompatibel sein; die Politikverdrossenheit hat (die Umfrage erfolgte kurz nach der ÖVP-FPÖ-Regierungsbildung) gegenüber der Vorgängerstudie 2008 abgenommen, die Österreicher halten wieder mehr von Demokratie und weniger von einem "starken Führer". Allerdings, so Friesl weiter: "Kritisch bleibt die Einstellung zum Thema Zuwanderung." Sieben von zehn Österreichern halten Zuwanderer für eine Belastung für das Sozialsystem und potenziell kriminalitätssteigernd.
Image-Hochs und -Tiefs der Kirche
Eine weitere, von der Erzdiözese und der Uni Salzburg beauftragte Studie aus dem Jahr 2017 über die Reputation der katholischen Kirche präsentierte der Kommunikationswissenschaftler Mihael Djukic. Analysiert wurde dabei die in Österreich vergleichsweise breite Berichterstattung ("die katholische Kirche lässt kaum jemanden kalt"). Erhoben wurden in Interviews von Kirchenvertretern aber auch die Selbsteinschätzung bzw. in Gesprächen mit Medienvertretern die Fremdwahrnehmung der Kirche. Djukic bemängelte, dass die Kirche selbst zu viel organisatorische Aspekte kommuniziert; statt Personal- und Verwaltungsmitteilungen sollte vielmehr Profilierung durch genuin christliche Themen erfolgen. Reputationsaufbau gelinge vor allem in den Bereichen Gemeinschaft, Caritas und Sinnstiftung.
Bemerkenswert: Image-Hochs habe die Kirche nach dem enormen Tief durch die Missbrauchskrise 2010 durch die Wahl von Papst Franziskus 2013 und ihre Haltung in der Flüchtlingskrise 2015 erlebt. Djukic sprach von einem schon unter Benedikt XVI. und erst recht unter Franziskus feststellbaren "Papstbonus" für das Kirchenimage.
Gegen ein "Nischen-Christentum"
Vor Autoritarismus und Ausgrenzungsbereitschaft der Kirche angesichts weltanschaulicher Konkurrenz in der pluralistischen Gesellschaft warnte die Innsbrucker Theologin Michaela Quast-Neulinger am Donnerstag bei der Pastoraltagung. Der Rückzug zum Modell der "kleinen Herde" führe in gefährliche Nischen und Abschottung einer "heiligen Phalanx" gegenüber einer als bedrohlich empfundenen Welt. Ein "Gesundschrumpfen" könne allzu leicht zur elitären Haltung führen: "Wir haben ja Jesus, wir brauchen die Menschen nicht..."
Mission will Quast-Neulinger heute nicht als "selbstherrliche" Vorstellung, "Gott zu den Menschen zu bringen", sondern als Bemühen verstanden wissen, als Christen "an Bruchstellen des Lebens präsent zu sein". Die Theologin wandte sich dabei gegen jede Polemik gegenüber "nur" sozial engagierten Gläubigen. Christen seien nie perfekt, betonte die Theologin gegenüber den "Selbstperfektionsansprüchen" der Gegenwart. Sie dürften aber auf Vollendung in Gott hoffen.
Gegen ein "Nischen-Christentum" sprach sich auch der Wiener Pastoraltheologe Johann Pock aus: "Der Ort der Kirche ist die jeweilige Welt, die ohne das Christentum ärmer wäre." Die Menschen, und hier vor allem jene am Rand, seien "der Entdeckungsort Gottes", betonte er am Donnerstag. Die Kirche müsse immer wieder bereit zu Veränderung sein, wolle sie ihrem Auftrag gerecht werden.
Aufbruch in der Kirche sei freilich "schmerzhaft, verbunden mit Loslassen, Zurücklassen" und ungewisser Zukunft. Es brauche mutiges Vertrauen in den Geist Gottes. Der Auftrag, "Zeichen und Werkzeug des Heils" zu sein, verlangt laut Pock nach einer Kirche, die sich anwaltschaftlich einmischt. Ihr gehe es dann nicht um sich selbst, sondern um das Heil und ein gutes Leben aller Menschen.
Der Pastoraltheologe wartete auch mit einer interessanten Vergleichzahl auf, um die ohnehin erfolgenden Veränderungen in der Kirche zu dokumentieren: 1910 lebten noch 70 Prozent der Katholiken auf der nördlichen Hemisphäre, 30 auf der südlichen. Heute habe sich dieses Verhältnis fast umgekehrt, und ein Argentinier steht an der Spitze der Kirche.
Quelle: Kathpress