Brexit-Chaos
Wiens anglikanischer Pfarrer kritisiert Theresa May
Brexit-Chaos
Wiens anglikanischer Pfarrer kritisiert Theresa May
Der Wiener anglikanische Pfarrer Patrick Curran hat in einem Interview für die aktuelle Ausgabe der Wiener diözesanen Kirchenzeitung "Der Sonntag" scharfe Kritik an der Regierung von Premierministerin Theresa May und an der vorhergegangenen Regierung von David Cameron wegen des von beiden verschuldeten Brexit-Chaos geübt. Die entstandene Situation sei ein Zeichen von Führungsschwäche, so Curran. "Keiner kann jetzt vorhersagen, was passieren wird. Es zeigen sich Egoismen von einigen Politikern. Ein neues Referendum ist für einige ein Hoffnungsschimmer. Aber man pocht immer darauf, dass es der Wille des Volkes ist, dass es den Bruch gibt. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, aber ein Referendum ist immer eine Meinung, die das Volk in diesem Moment hat", sagte der Pfarrer.
Dem Referendum von 2016 seien bereits schwere Fehler vorausgegangen: "Die Menschen wurden teilweise nicht informiert, und die Europawahlen wurden immer wieder benutzt, um gegen die Regierung zu stimmen. Die Leute wussten letzten Endes nicht, wofür sie stimmten, denn es gab auch keinen Vertrag. Es gab nichts", so Curran.
Er sieht hier ein Unvermögen der Führung: "Premierminister David Cameron hätte damals sagen müssen: 'Aus meiner Sicht sind wir gespalten, das ist ganz klar. Das ist kein wirklich eindeutiger Ausgang der Abstimmung: 52 Prozent Ja-Stimmen zu 48 Prozent Nein-Stimmen. Wir müssen uns Zeit nehmen, um es richtig anzugehen. Wir geben den Menschen wahre Informationen."
Sichtbar geworden sei jedoch Schwäche, "und das hat jetzt seine Konsequenzen". Theresa May hätte dies sehen müssen und hätte nicht am 29. März 2017 den Austritt nach Artikel 50 des EU-Vertrages auslösen müssen. "Sie hätte zunächst einen Austrittsvertrag aushandeln können, im Parlament darüber abstimmen und erst dann diesen Austritt auslösen sollen", erläuterte der anglikanische Theologe.
Er bedauerte, dass sein Heimatland derart gespalten sei. "Die Menschen können sich über das Thema kaum mehr unterhalten. Viele sagen: 'Ich möchte davon nichts mehr hören.' Wenn das alles vorbei ist, ist die Kirche hoffentlich da, die Menschen miteinander neu zu versöhnen. Sie soll Freiräume anbieten, wo die Menschen zusammenkommen können und darüber reden, was da passiert ist", meinte Curran.
Denn es gebe "ein Danach", erinnerte er, und er verwies auf ausgebrochene Konflikte innerhalb der Pfarren: "Auch in den Kirchengemeinden ist man sehr gespalten. Sehr viele anglikanische Gläubige in England sind eher für den Brexit, die Bischöfe sind für ein Bleiben in der Union. Das ist eine Spannung, die man aushalten muss."
Gut wäre jedenfalls eine Nachdenkphase, denn "wir haben zurzeit keinen Weg". Wenn es ein zweites Referendum geben sollte, dann sollte es erst in fünf Jahren sein. Neuwahlen hingegen wären gut, denn "dann könnte man etwas Neues angehen". Jedenfalls sei jetzt nicht der richtige Moment, dass das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlässt. "Das ist im Parlament deutlich geworden. Es weiß nicht wirklich, was es will. Es sind zu viele unterschiedliche Stimmen", betonte der Pfarrer.
"Könnte wieder Autobomben geben"
Laut Curran sind etwa 80 Prozent der Briten, die Auslandserfahrung haben, für die Europäische Union. Geographisch gehöre Großbritannien zu Europa, auch in kulturellen Aspekten zu Westeuropa. Aber das Land sei von Anfang der Mitgliedschaft an nicht proeuropäisch eingestellt gewesen. Es habe schon in den 1990er-Jahren Kampagnen gegeben, aus der Union auszutreten. "Politische Kräfte aller Parteien haben oft die EU als Sündenbock benutzt, obwohl die Macht noch immer in den Händen der Nationalstaaten liegt. Die EU kann nur das verwirklichen, was die Mitgliedsstaaten dazu beitragen", erinnerte der Seelsorger der Diaspora-Anglikaner.
Ihm bereite besonders die Nordirland-Frage Sorge. Im Bürgerkrieg habe es 4.000 Tote gegeben, "das ist nicht so lange her", so Curran: "Was ich nicht verstehen kann ist, warum man wieder einen Krieg in Nordirland entfachen möchte. Wer könnte das wollen? Kräfte, die ihre Interessen durch Gewalt verwirklichen wollen, könnten diesen Moment für sich selbst ausnutzen und für Verunsicherung in der Bevölkerung sorgen. Plötzlich könnten Autobomben wieder zum Alltag gehören."
Quelle: Kathpress