Israelische Publizistin Haviv-Horiner
Österreich hat sich seiner Geschichte nie wirklich gestellt
Israelische Publizistin Haviv-Horiner
Österreich hat sich seiner Geschichte nie wirklich gestellt
Antisemitismus in Europa hat es immer gegeben, doch sei die Hemmschwelle vor einer öffentlichen Äußerung des Antisemitismus gerade in Österreich in den letzten Jahren deutlich gesunken. Das konstatierte die israelische Bildungsexpertin und Publizistin Anita Haviv-Horiner im Gespräch mit "Kathpress". Dies liege wohl vor allem daran, "dass sich Österreich gesellschaftlich seiner Vergangenheit nie wirklich gestellt hat, was man auch an den heutigen politischen Konstellationen sieht", so die gebürtige Wienerin und Tochter von Shoa-Überlebenden. Zwar gebe es in Österreich großartige Einzelinitiativen, in Deutschland sei der Kampf gegen Antisemitismus jedoch institutionell deutlich stärker verankert und mit großen Budgets ausgestattet.
Dass es aktuell legitim sei, gegen Flüchtlinge als Kollektiv zu hetzen, sei sehr problematisch. Sie sehe auch die Probleme in der Flüchtlingsdebatte und wolle nichts schönreden, "aber wenn man undifferenziert gegen Flüchtlinge hetzt, dann kommt der Antisemitismus bald nach. Menschen, die gegen Muslime hetzen, werden sehr bald auch gegen Juden oder gegen Schwule hetzen, egal, gegen wen."
Haviv-Horiner äußerte sich am Rande eines Vortrags über "Jüdische und israelische Gedenkkultur" am Donnerstagabend an der Universität Wien. Eingeladen hatte zu dem Vortrag die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Wien und der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Im Anschluss folgte eine Podiumsdiskussion zwischen Haviv-Horiner und der Wiener Pastoraltheologin Prof. Regina Polak, moderiert vom Geschäftsführer des Psychosozialen Zentrums Esra, Peter Schwarz.
Um Antisemitismus effektiv zu bekämpfen, setzt die Bildungsexpertin auf nachhaltige, mehrjährige, didaktisch gut aufbereitete Projekte mit Lehrpersonen und Schulen. Von einmaligen Ausflügen nach Auschwitz oder Mauthausen ohne Vor- und Nachbereitung halte sie hingegen weniger. Persönlich halte sie Kritik an der israelischen Regierung für legitim, beklagte neben dem klassischen Antisemitismus jedoch, dass oftmals das Existenzrecht Israels in Frage gestellt werde oder wenn doppelte Standards in Bezug auf Israel und andere Länder gelten.
Gedenken in Österreich "hochprofessionalisiert"
Haviv-Horiner erläuterte verschiedene Dimensionen des Gedenkens in Israel, von den Erfahrungen in der eigenen Familie über kulturelle Verarbeitung in Filmen und Büchern der zweiten und dritten Generation bis hin zum staatlich verordneten Gedenken mit Schulprojekten und dem jährlichen Shoa-Gedenktag.
Im Unterschied zu Israel könne man in Österreich einer offiziellen Gedenkkultur durchaus entgehen, meinte die Wiener Pastoraltheologin Polak dazu. Sie kritisierte, dass Gedenken in Österreich eine "hochprofessionalisierte Experten-Sache" sei. Die oft gehörte Forderung "Es muss doch einmal ein Ende haben mit dem Erinnern" bezeichnete sie als "Frechheit", denn "auch wenn die Gedenkkultur in Österreich vor neuen Herausforderungen steht angesichts der Migrationsgesellschaft, gibt es keine Alternative als zu gedenken". Die katholische Kirche sei dazu verpflichtet, Antisemitismus zu bekämpfen, so Polak weiter.
Für ihr demnächst erscheinendes Buch "Nichts Neues in Europa? Israelische Blicke auf Antisemitismus heute" interviewte Haviv-Horiner 16 Israelis, die in Ländern wie Österreich, Deutschland, Ungarn, Frankreich oder England geboren wurden oder gearbeitet haben. Erfahrungen mit Antisemitismus hätten alle Interviewpartner gemacht, so Haviv-Horiner. Unterschiedlich seien jedoch Ansichten zu Fragen, wie, ob die israelische Politik mit dem Anstieg von Antisemitismus in Europa zu tun habe, inwiefern Antisemitismus mit anderen Formen von gruppenbezogenem Menschenhass zusammen hänge und ob es Sinn mache, diesen zu bekämpfen.
Ob es legitim sei, jemanden vom Gedenken auszuschließen, fragte Peter Schwarz und nannte als Beispiel, dass im vergangenen Jahr die FPÖ nicht zum Gedenken in Mauthausen eingeladen worden war, sodass die Regierung schließlich eine eigene kleine Gedenkfeier veranstaltete. Haviv-Horiner meinte dazu, dass sie es als sehr problematisch erachte, wenn die "neugewonnene Liebe für die Juden" mit einem Hass gegen andere Gruppen kombiniert werde. "Ich möchte mich nicht vereinnahmen lassen und nicht geliebt werden von jemandem, der sagt, 'aber die Moslems sind nicht in Ordnung'", so Haviv-Horiner wörtlich. Sie plädierte dafür, den Menschen im anderen zu sehen, unabhängig von der jeweiligen religiösen Zugehörigkeit.
Quelle: Kathpress