Wer ist Jesus für uns?
Wiener Tagung ringt um theologische Neubestimmungen
Wer ist Jesus für uns?
Wiener Tagung ringt um theologische Neubestimmungen
Wer war Jesus von Nazareth? Und was bedeutet es für eine christliche Theologie, das Jude-Sein Jesu ernst zu nehmen? Diese Fragen stehen im Zentrum einer internationalen, hochkarätig besetzten Fachtagung, die derzeit in Wien stattfindet. Einig zeigten sich die Referenten nach dem ersten Tag darin, dass es eine christlich-theologische Neubestimmung in dieser Frage brauche. Dies habe zum einen die jüngste Debatte um einen Text von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. zum jüdisch-christlichen Dialog gezeigt, der zu zum Teil heftigen kritischen Reaktionen geführt hatte; zum anderen seien wichtige Erkenntnisse etwa der modernen Bibelwissenschaft oder der Leben Jesu-Forschung weder in der systematischen Theologie bedacht noch in Lehrbüchern oder gar kirchlichen Dokumenten berücksichtigt worden.
Die Tagung "Jesus, the Jew from Galilee, and the Christian Redeemer: Christologie between Judaism and Christianity", die gemeinsam von der Wiener Evangelisch-Theologischen Fakultät, der Potsdamer School of Jewish Theology und dem Abraham Geiger Kolleg initiiert wird, dauert noch bis Donnerstag. Unter den internationalen Referenten sind der Rabbiner Walter Homolka, der Wiener evangelische Theologe Christian Danz, sein katholischer Kollege Jan-Heiner Tück, der Freiburger katholische Theologe Magnus Striet, der Berliner Theologe Christoph Markschies, der Paderborner Theologe Klaus von Stosch und andere. Die Luzerner Judaistin Verena Lenzen sowie der evangelische Theologe Christoph Schwöbel fielen krankheitsbedingt aus.
Wie der Rabbiner Walter Homolka am Rande der Tagung gegenüber "Kathpress" betonte, bestehe die Aufgabe für das Christentum heute darin, "eine Christologie zu schaffen, die ohne eine Karikatur des Judentums auskommt"; tatsächlich hätten sich nämlich - abgesehen von einzelnen löblichen Ausnahmen - die jüdisch-christlichen Dialogbemühungen der vergangenen Jahrzehnte kaum in theologischen Reflexionen oder gar kirchlich-lehramtlichen Dokumenten oder der Liturgie niedergeschlagen. Es brauche daher einen "grundsätzlichen Paradigmenwechsel", der das zeitgenössische Judentum aus christlicher Sicht nicht "zu einer Mumie pathologisiert", sondern es als "moderne Schwesterreligion würdigt, deren Botschaft nicht vergangen, sondern nachhaltig gültig ist."
Keinen Fallstrick ortet Homolka im übrigen bei der Messias-Frage. Diese spiele nämlich in der zeitgenössischen jüdischen Theologie keine relevante Rolle mehr. An Stelle der oft missverstandenen oder fälschlich politisierten Messias-Vorstellung sei inzwischen jüdischerseits der Begriff Tikun Olam getreten, der die "Vorstellung einer Heilung der Welt durch jene Menschen, die sich dem Gesetz unterwerfen und das richtige tun" enthalte. Dieses ursprünglich aus dem frühen rabbinischen Judentum stammende Konzept habe "die Messias-Vorstellung im Judentum völlig überwuchert".
"Christlicher Korrekturbedarf"
Christlichen "Korrekturbedarf" ortete gegenüber "Kathpress" auch der Freiburger Theologe Magnus Striet: Dieser Korrekturbedarf bestehe vor allem in der christlichen Soteriologie, also der Lehre von der Erlösung bzw. dem Heil, die nach wie vor davon ausgehe, dass das Heil unmittelbar an das Christusbekenntnis gekoppelt sei. "Das würde bedeuten, dass sich auch Juden zu Christus bekennen müssen" - eine Annahme, die im heutigen jüdisch-christlichen Dialog nicht mehr zu vermitteln sei und auch keiner Begegnung auf Augenhöhe entspreche.
Dass die Frage nach dem Judesein Jesu heute neu auf der Tagesordnung stehe, verdanke sich laut Striet zum einen den Debatten um den letztjährigen "Communio"-Aufsatz Benedikts XVI.; er stelle jedoch auch eine prinzipielle "Unruhe im Blick auf anhaltende gesellschaftliche Pluralisierungseffekte fest, die die Frage nach der eigenen religiösen Identität neu stellen".
"Das Lehramt war der Theologie voraus"
Christlichen Korrekturbedarf meldete auch der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück an. So zeige ein selbstkritischer Blick in die christliche systematische Theologie des 20. Jahrhunderts, dass dem Judesein Jesu erstaunlich wenig Bedeutung zugesprochen werde, führte Tück etwa im Blick auf theologische Ansätze Karl Rahners oder Walter Kaspers aus. Interessant sei hingegen, dass gerade vatikanische Dokumente wie etwa Dokumente der für die religiösen Beziehungen zum Judentum zuständigen Kommission schon seit den 1970er Jahren einklagen, "dass man die Dimension des Judesein Jesu auch in der Christologie weiter bedenken muss", so Tück gegenüber "Kathpress". Er würde daher die These vertreten, "dass das Lehramt hier der akademischen Theologie zumindest als Impulsgeber voraus war".
Die Aufgabe für die christliche Theologie sieht Tück heute darin, Theologie und Liturgie kritisch zu durchleuchten und von "christlichen Singularitätsvorstellungen zu reinigen", um so die bleibende Würde des Judentums heute neu in den Blick zu nehmen. Das würde auch konkrete praktische wie theologische Markierungen bedeuten, führte Tück aus: "Keine Judenmission, keine übergriffigen Aktionen, sondern Respekt bis ins Eschaton. Aber dort wird es Gott selbst sein, so eine Hoffnung, dass durch den Parusie-Christus die Anerkennung Jesu durch die Juden ins Werk gesetzt wird."
Keine "inklusivistische Vereinnahmung"
Die Gefahr einer Entwertung des Judentums durch die christliche Theologie sieht auch der die Tagung mit ausrichtende Wiener evangelische Theologe Christian Danz als nicht gebannt: So selbstverständlich es heute in der christlichen Theologie sei, von Jesus als Jude auszugehen, so wenig habe dies doch "dogmatische Konsequenzen in der Christologie" gezeitigt. Es brauche eine "wirkliche Anerkennung des Judentums" aus christlicher Sicht ohne "inklusivistische Vereinnahmung", d.h. ohne eine Abwertung des Judentums als Vorform christlicher Religion oder als durch Jesus zur Erfüllung gebrachte Religion. Selbst das als Meilenstein gefeierte Konzilsdokument "Nostra Aetate" lasse im Übrigen eine solche volle Anerkennung vermissen, so Danz weiter, da es nur von "Spuren" der Wahrheit in anderen Religion spreche, die volle Wahrheit damit zugleich dem Christentum vorbehalte.
Strittig blieb bei den Debatten des ersten Tages auch die Frage nach der Relevanz der historischen Jesus-Forschung: So wichtig diese Forschung jüdischer- wie christlicherseits sei, so sehr müsse man sich von der Vorstellung verabschieden, durch historisch-kritische Forschung dem "authentischen Jesus" nahe zu kommen. Die Bezeichnung Jesu als Christus lasse sich schließlich überhaupt erst vor dem Hintergrund der frühen Kirche und somit aus einem bereits christlichen Rahmen verstehen - es sei daher ein Irrtum, zu meinen, durch intensive Leben Jesu-Forschung dem authentischen Jesus als Christus näher zu kommen, so Danz.
Zeitgleich zur Tagung ist im Herder-Verlag auch ein Buch zu dem Thema von Walter Homolka und Magnus Striet erschienen. Das Buch trägt den Titel "Christologie auf dem Prüfstand. Jesus der Jude - Christus der Erlöser".
Quelle: Kathpress