Politik darf Zivilgesellschaft nicht übergehen
Die Zivilgesellschaft darf im politischen Prozess nicht übergangen werden. Diesen Appell hat der steirische Caritasdirektor Herbert Beiglböck am Mittwoch an die politisch Verantwortlichen im Land gerichtet. Er äußerte sich bei der Präsentation des Solidaritätsbarometers 2019 in Graz. Diese Studie über Hilfsbereitschaft und Wertevorstellungen der Steirer hat die Caritas mit dem Grazer Soziologen Florian Brugger zum zweiten Mal erstellt. Sie ergibt eine grundsätzlich große solidarische Einstellung der Steirer, gegenüber dem Vorjahr ist der Wert jedoch leicht gesunken. Beiglböck sieht einen Zusammenhang zwischen der Einstellung der Menschen und Entwicklungen auf politischer Ebene.
Wesentlich für das Funktionieren der Gesellschaft sei Solidarität und die Bereitschaft, sie selbst zu leben, hielt Beiglböck fest. Auf der politischen Ebene verlange das Prinzip der Solidarität, das Zusammenwirken aller gesellschaftlichen Kräfte im politischen Prozess zu garantieren. "Die verschiedenen Interessen hören, gegeneinander abwägen und dann Entscheidungen treffen, die bestmöglich dem Wohle aller dienen: das wäre das Wesen einer ideal gedachten Demokratie", so der Caritasdirektor. Er müsse deshalb festhalten, "dass es aktuell politische Tendenzen gibt, die mir große Sorgen bereiten". Und das habe ganz ursächlich mit Solidarität zu tun: "Wir erleben immer wieder, dass die Zivilgesellschaft im politischen Prozess übergangen wird."
Beiglböck illustrierte seine Kritik mit dem "Dilemma um den Karfreitag": So habe der Dialog zwischen Politik und in dem Fall den Kirchen, die ein Element der organisierten Zivilgesellschaft sind, zunächst nicht stattgefunden. "Das Ergebnis war eine unglückliche Lösung, die gezeigt hat, dass gute Ergebnisse eben nicht entstehen können, wenn die Zivilgesellschaft nicht gehört wird", so der Caritasdirektor. Dann bestehe auch die Gefahr, "dass Grundsätze kippen". Eine aktive Zivilgesellschaft sei deshalb das Fundament für eine funktionierende Demokratie. "Sie zu hören und einzubinden, ist keine Höflichkeit, sondern Notwendigkeit und ein Gebot staatlicher Solidarität", mahnte Beiglböck.
Messgröße für Solidarität
Im Jahr 2018 hat die Caritas Steiermark erstmals den Solidaritätsbarometer für die Steiermark erstellt. (Die Befragung dazu fand im November 2017 statt.) Die Idee hinter dieser Erhebung ist, eine Messgröße zu erhalten für die Einstellung der Menschen zu Werten wie Gemeinsinn und Hilfsbereitschaft. Der Grazer Soziologe Florian Brugger erstellt die Studie, die über fünf Jahre hinweg jährlich durchgeführt werden soll. Befragt wurden dazu für die aktuelle Studie im November 2018 1.020 Personen in der Steiermark.
Gaben im November 2017 93 Prozent der Befragten an, gespendet zu haben, waren es ein Jahr später nur mehr 86 Prozent. 30 Prozent gaben bei der ersten Befragung an, sich ehrenamtlich zu engagieren, im November 2018 waren es nur mehr 24 Prozent. Bei der Befragung 2017 gaben zudem 68 Prozent an, für die Caritas gespendet zu haben, 2018 waren es nur mehr 62 Prozent. Bei Spenden für Flüchtlingshilfe sank der Wert von 28 auf 23 Prozent, bei Spenden für die Feuerwehr und ähnliche Organisationen von 68 auf 65 Prozent. Brugger führt das Absinken des Wertes für Solidarität auf die zum Teil heftigen gesellschafts- und sozialpolitischen Debatten der vergangenen Monate zurück.
Weiter ergab die Befragung, dass die Menschen in der Steiermark "Fremden" gegenüber offen sind, allerdings erwarten, dass diese sich an das herrschende Wertesystem anpassen. Die Befragten bewerteten den Sozialstaat mit seinen Leistungen hoch, sind aber der Meinung, nur Staatsbürger und "gut Integrierte" sollen einen Anspruch darauf haben.
Ehrenamtliche Solidarität
Als einen "Akt der gelebten Solidarität" beschrieb die Vorsitzende des Caritas-Kuratoriums, Kristina Edlinger-Ploder, bei der Studienpräsentation die aktuelle Caritas-Haussammlung, bei der steiermarkweit rund 4.000 Ehrenamtliche von Haus zu Haus gehen und um Spenden für Menschen in Not in der Steiermark bitten. Zehn Prozent der Spendensumme aus der Sammlung bleiben in der jeweiligen Pfarre für Caritas-Arbeit vor Ort, der Rest der Spenden fließt in die Einrichtungen der Nothilfe in der Caritas. Im Vorjahr flossen daraus knapp 800.000 Euro in die Finanzierung von Hilfsangeboten wie Notschlafstellen, Existenzberatung, medizinische Versorgung und Lebensmittelausgaben an Bedürftige in der Steiermark.
Quelle: kathpress