Kulturauftrag der Kirche weit mehr als Denkmalpflege
Die Kirche ist Verwalterin eines vielfältigen Kulturgutes, mit einem Anteil von 41 Prozent der Denkmalobjekte in Österreich ist sie der größte Eigentümer. Dennoch reicht nach den Worten von Bischof Hermann Glettler der Kulturauftrag von Kirche weit über die Pflege vergangener Größe hinaus. Wie der Innsbrucker Bischof am Mittwochabend bei der Thomas-Akademie im Priesterseminar der Diözese Linz darlegte, umfasst dieser Auftrag auch "Anschlussfähigkeit" an die zeitgenössische Kultur und Kunst, eine Alltags- und Lebenskultur prägende ganzheitliche Evangelisation und Bildung bis hin zur gelebten Option für die Armen als kultur- und gesellschaftsrelevanter "Ernstfall des Glaubens". Denn:
Wie eine Gesellschaft mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht, ist ein Ausweis ihrer Kultur.
Schon der Titel "Für ein Plus an Vitalität" von Glettlers Vortrag über den aktuellen Kulturauftrag der Kirche verbat sich jede Rückwärtsgewandtheit. Freilich: Die katholische Kirche erhält in Österreich 15.716 unter Denkmalschutz stehende Objekte, wie der Bischof darlegte: 4.634 Kirchen, 1.756 Pfarrhöfe, 584 Ordensgebäude, mehr als 4.000 Kapellen, rund 2.400 Bildstöcke, 2.000 Friedhöfe und mehr als 300 sonstige Objekte. "Dass dieser Besitz auch zugleich eine enorme Hypothek darstellt, erklärt sich von selbst", verwies Glettler auf staatliche Verpflichtungen für die Kulturgut-Besitzer.
In Zeiten, da Klosteranlagen aufgrund von Nachwuchsmangel geschlossen werden, müsse eine "Form der Sterbebegleitung" von einst prägenden Gemeinschaften überlegt werden. Es stelle sich - wie in anderen europäischen Ländern auch - die große Frage der Nachnutzung bzw. neuen Verwendung der alten kirchlichen Anlagen, so Glettler: "Wird es auch in unseren Breiten zeitnah eine radikal säkulare Nutzung von nicht mehr gebrauchten Kirchen und Klöstern geben?", etwa in Form von Restaurants, Kulturinstitutionen, Start-Up-Büros oder Sozialeinrichtungen.
"Der Verlust von Kultur führt auch zu einem Verlust von Lebensqualität, die allerdings erst nach geraumer Zeit - wenn Kulturgüter nicht mehr vorhanden sind - spürbar wird", gab der Bischof zu bedenken. Und: Kulturverlust sei auch ein Orientierungsverlust. "Kulturelle Werte und Bezüge sind Fixpunkte, an denen Menschen sich orientieren und festhalten können."
Demut gegenüber zeitgenössischer Kunst
Einmal mehr warb der früher selbst künstlerisch tätige Glettler dafür, dass sich die Kirche "demütig als Einladende und Gastgeberin" an zeitgenössische Kulturschaffende wendet. Auch wenn sie ihre "kulturbestimmende Rolle längst eingebüßt" habe, müsse sie sich auch heute um Dialog und neue Aufträge bemühen. Die Gegenwartskunst wirke der Banalisierung des Lebens und dem Druck zu dessen totaler Ökonomisierung entgegen. "Eine ernsthafte Kooperation mit Gegenwartskunst kann in erstarrte kirchliche Gemeinden eine neue geistige Vitalität bringen, Milieuverfestigungen in Frage stellen und durchlässig machen", nahm Glettler Bezug auf seine diesbezügliche Pionierarbeit in der Grazer Pfarre St. Andrä.
Eine kritische Seitenbemerkung machte der Bischof in Richtung Konzilstexte, wo noch behauptet worden sei, dass die Kirche "die Künstler zu unterweisen" und "über die Werke der Künstler zu urteilen und entscheiden" habe:
Diese Art der Unterordnung ist meines Erachtens ein No-Go für einen angemessenen partnerschaftlichen Umgang mit den Kulturschaffenden der heutigen Zeit.
Eine weitere Seitenbemerkung Glettlers betraf das Thema Blasphemie: Sein "persönlicher Tipp" sei Gelassenheit im Urteil und in der Reaktion auf eindeutige Provokationen. Besser sei es, durch konsequente Kooperation mit qualitätsvoller Kunst "vom Reagieren ins Agieren" zu kommen und selbst Themen zu setzen.
Kulturarbeit muss breit aufgestellt sein
Über Denkmalpflege und solchen Zeitdialogen hinaus steht für Bischof Glettler fest: Evangelisation im umfassenden Sinn ist Kulturarbeit. Es müsse gelingen, "dass die Lebensrelevanz der christlichen Botschaft und ihrer Themen in der Mitte unserer Gesellschaft wieder ankommt - auf den Marktplätzen und Meinungsforen unserer Zeit". Wenn das Neue, das Jesus in die Welt brachte, "für den Pulsschlag unserer aktuellen Gesellschaft keine Rolle spielt, dann marginalisiert sich kirchliche Kulturarbeit auf die Bemühungen eines Verschönerungsvereines", so Glettler pointiert.
Bildung jedenfalls ist nach seiner Überzeugung ein wesentlicher Teil kirchlicher Kulturarbeit - im Sinne einer Stiftung von christlicher Identität, ohne andere Weltanschauungen abzuwerten. Die Kirche habe weit über den Kreis ihrer Mitglieder hinaus seit 2000 kulturelle Identität geschaffen, wies Glettler hin.
Ohne diese Prägekraft wäre die abendländische Kultur wesentlich ärmer an Inhalten und ästhetischen Zeugnissen.
Eine Gesellschaft, die mit ihren kulturellen und religiös begründeten Eigenheiten umgehen kann und diese Identität pflegt, tut sich laut Glettler auch leichter damit, dem Fremden Raum zu geben. "Sie braucht keine Feindbilder, um sich ihrer Identität gewiss zu sein." Ein weiteres Postulat des Bischofs:
Es gibt keine Frohe Botschaft von Gott, die nicht in der konkreten Sorge für den Nächsten Gestalt annimmt. Damit wird sie kulturell relevant.
Und schließlich solle auch die christliche Spiritualität heute eine Lebenskultur prägende Kraft entwickeln. Als deren wesentliche Merkmale nannte der Innsbrucker Bischof Dankbarkeit als Kontrast zur "unstillbaren Gier nach Noch-Mehr", Spiritualität als Unterbrechung von Alltagsbanalität und Impuls gegen die "Vergötzung von Stärke und Erfolg".
Gegen "Sakralisierung einer bestimmten Kultur"
Glettler endete mit dem Hinweis darauf, dass Christus - obwohl Jude und in Palästina wirkend - allen Menschen und Völkern gehöre. Er mahnte zur Vorsicht vor der "Sakralisierung einer bestimmten Kultur", die scheinbar idealerweise mit dem Genuinen des christlichen Glaubens harmoniert. Wichtig für den Kulturauftrag der Kirche sei somit auch die Förderung und der Austausch von Kulturen; der Aspekt des interkulturellen Lernens kann nach der Überzeugung des Bischofs nicht hoch genug angesetzt werden. "Darin liegt eine große Chance, dass wir als Menschen reifen und zu einer einzigen Menschheitsfamilie zusammenwachsen."
Die jährlich veranstaltete Thomas-Akademie ist eine Veranstaltung der Katholischen Privat-Universität Linz und des Bischöflichen Priesterseminars der Diözese Linz.
Quelle: kathpress