Seelsorge im Spital ist mehr als religiöse Rituale
Seelsorge im Krankenhaus muss ein viel breiteres Tätigkeitsspektrum erfüllen als die bloße "Versorgung mit religiösen Ritualen" für konfessionell Gebundene. Darauf hat die Wiener Moraltheologin Prof. Sigrid Müller am Mittwoch bei der Österreichischen Krankenhausseelsorgetagung 2019 im Salzburger Bildungszentrum St. Virgil hingewiesen. Eine Ausweitung des Aufgabenprofils für Seelsorger als "Ethik-Experten" sei sinnvoll und notwendig, brauche freilich auch entsprechende personelle und finanzielle Ressourcen, so Müller.
Für persönlich belastende und ethisch schwierige und lebensentscheidende medizinische Entscheidungen bräuchten Menschen kompetente Ansprechpartner, "die ergebnisoffen nachspüren, was eine Person beschäftigt, und diese bei ihrer Entscheidungsfindung begleiten". Es gehe umfassend "um das Wohl des leibhaften Menschen, in dem Körperliches und Seelisches eng miteinander verflochten sind".
Wiewohl es zum ärztlichen Ethos gehöre, dieses umfassende Patientenwohl zu suchen, seien Ärzte dazu nur bedingt in der Lage. Ein Austausch zwischen Ärzten und Patienten über Sinnfragen oder ethische Fragen finde kaum statt. Müllers Fazit: Unter den derzeitigen Bedingungen sei in wenigen Einrichtungen dafür strukturell gesorgt, dass alle Patienten in schwierigen Situationen aufgefangen und bei ihrer persönlichen Entscheidungsfindung begleitet werden können, so dass diese Entscheidung auch wirklich auf Augenhöhe in die gemeinsame Entscheidung von Arzt und Patient einfließen kann. Müller:
Wenn man, insbesondere bei schweren Erkrankungen, die Patienten, ihren Willen und ihr Wohl ernst nimmt, bedarf es einer institutionalisierten Ansprachemöglichkeit im Krankenhauskontext.
Die professionelle Ausbildung in seelsorgerlicher Begleitung spreche dafür, "dass die Seelsorge in dieser genannten Funktion einen festen Ort im Krankenhausalltag besitzen sollte", wie es schon in anderen Ländern etwa unter der Bezeichnung "Spiritual Care" der Fall sei. Freilich: Nehme man dies ernst, müsste es in Österreich zu einem Umdenken kommen". Denn:
Oft wird Seelsorge nur als externes Angebot verstanden, das der Pastoral und damit in erster Linie den Kirchen oder Religionsgruppen zugeordnet wird, nicht der medizinischen Institution.
"Spiritual Care" müsste hingegen zu einem festen Bestandteil des medizinischen Kontexts werden, forderte die Moraltheologin: "Aufgabe aller Seelsorger wäre es also, auch alle Patienten unterstützen zu wollen - und auch Ärzte oder pflegerische Mitarbeiter, die sich mit schwer ertragbaren Situationen konfrontiert sehen." Diese Aufgabe sei auch kultur- und religionsübergreifend. Damit eine solche "Spiritual Care" selbstverständlich zum Krankenhaus gehört, bedürfe es jedoch einer klaren Bereitschaft der medizinischen Institutionen und ihrer Träger.
Ausbildung und Kooperation
Eine Ausweitung der klassischen Krankenhausseelsorgeausbildung auf ethische Expertise bringe jedoch einiges an Voraussetzungen mit sich, führte Müller weiter aus. Es sei klar, dass der Umfang, in dem Ethik bislang in den zwölfwöchigen Kursen der Klinischen Seelsorge-Ausbildung Österreich vorkommt, nicht genügen könnte, um dem vollen Spektrum der Anforderungen unter diesen Umständen gerecht zu werden. Neben einer vertieften ethischen Ausbildung für Seelsorger bräuchte es auch mehr medizinisches Basiswissen.
In den Ausbildungen oder Fortbildungen der unterschiedlichen Berufszweige brächte es auch mehr gemeinsame Elemente für Mediziner, Seelsorger und Pflegepersonal, so Müller: "Medizin, Pflege, Ethik und Seelsorge müssen zusammenfinden." Und: Das alles bräuchte auch eine Finanzierung und Unterstützung durch die Krankenanstalten und ihre Träger sowie durch die Kirchen, die diese Ausweitung des Aufgabenfeldes der von ihnen entsandten Seelsorger und die höhere Qualifikation mittragen müssten.
Wie viel Religion braucht Medizinethik?
Der Grazer Moraltheologe Walter Schaupp ging in einem weiteren Vortrag bei der Tagung der Frage "Wie viel Religion braucht/verträgt die Medizinethik" nach. Vor allem medizinische Entscheidungen am Lebensende oder bei Demenz stellten in den letzten Jahren immer mehr vor Herausforderungen. Schaupp sprach von einer wachsenden Unsicherheit, wie angesichts der Fülle medizinischer Möglichkeiten, einer Pluralität an Wertvorstellungen in der Gesellschaft aber auch angesichts wachsender ökonomischer Zwänge entschieden werden solle.
Vor diesem Hintergrund etablierten sich gegenwärtig verschiedene Formen einer "klinischen Ethikberatung". Ethikkomitees und Ethikkonsile sollen Ärzte bei schwierigen Behandlungsentscheidungen beraten und unterstützen und so klinische Entscheidungen in schwierigen Situationen optimieren. "Das Anliegen ist ein ganz neuer Stil einer fallbezogenen Kommunikation und Entscheidungsfindung", so Schaupp. Die Entscheidungsfindung müsse auf jeden Fall praxisbezogen und offen für interdisziplinäre Beratung über die klassischen Grenzen der einzelnen Professionen und über Hierarchiegrenzen hinweg sein.
Schaupp sieht darin eine ganz neue Chance für Seelsorger, ihre besonderen Kompetenzen in klinische Entscheidungsprozessen, ihre allgemeine Sensibilität für Wertfragen und für die religiös-spirituelle Dimension, aber auch ihr persönliches Wissen um Patienten einzusetzen. Vor allem in konfessionellen Häusern, die gegenwärtig eine Vorreiterrolle in der Verwirklichung von klinischer Ethikberatung spielen, seien Seelsorger daher zu selbstverständlichen Bestandteilen solcher Beratungsprozesse geworden. Der Moraltheologe gab allerdings zu bedenken:
Wenn Krankenhausseelsorge sich nicht mehr nur für das spirituelle Wohl von Patienten verantwortlich fühlt, sondern herausgefordert ist, Stellung zu ganz konkreten medizinischen Entscheidungen zu beziehen, ergeben sich aber auch neue Herausforderungen und Spannungen, die nicht übersehen werden dürfen.
Die einzelnen Seelsorger repräsentiert ja immer auch die Kirche, der sie angehören, und im Fall von säkularen Einrichtungen tun sie das auf einem Terrain, das von einem säkularen Denken und von ethischer Liberalität bestimmt ist.
In vielen Gesundheits-Institutionen und von Seiten vieler Health-Care-Professionals gebe es auch Angst vor kirchlich-religiöser Einmischung. Man fürchte eine ideologische, verurteilende und unsensible Haltung, die nicht diskursoffen ist und andere moralische Auffassungen nicht wirklich respektiere. Als Konsequenz versuche man, Religion und Medizinethik möglichst klar zu trennen, so Schaupp.
Christliche Krankenhausseelsorger sieht er vor der Herausforderung, sich immer wieder neu zu fragen, "wie wir als Glaubende in schwierigen Fällen ein authentisches Zeugnis von der Liebe Gottes abgelegt können". Die Kirche als Ganze wiederum benötige das Wissen um diese Erfahrungen für eine lebensnahe Moralverkündigung. Krankenhäuser seien insofern für die Kirche wichtige Orte eines ganz bestimmten Erfahrungswissens, wie Religion und gesellschaftliche Wertvorstellungen, wie medizinisches Denken und religiös-spirituelle Anliegen miteinander ins Gespräch kommen können.
Moderne Ethik sei sehr wohl auf religiöse Perspektiven allgemein und auf das Narrativ der christlichen Heilsgeschichte angewiesen. Religion werde sich hier aber nur fruchtbar einbringen können, wenn sie sich glaubhaft im Namen des Menschen einbringt und nicht einfach traditionelle Normen und Gesetzte verteidige, wenn sie nicht nur belehren wolle, sondern sich ihrerseits lernbereit zeige.
Die diesjährige Österreichische Krankenhausseelsorgetagung am 26./27. in St. Virgil stand unter dem Generalthema "Chancen und Herausforderungen medizinethischer Fragen im Krankenhaus und in Pflegeeinrichtungen und die Rolle der Seelsorge". Sie richtete sich speziell an in der Krankenhausseelsorge Tätige und Ethik-Fachleute. Veranstalter der ökumenischen Fachtagung waren die Krankenhausseelsorge der Diözesen Innsbruck und Feldkirch, die Evangelische Kirche A.B. Österreich und der Arbeitskreis der Evangelischen Krankenhausseelsorge und Geriatrie Seelsorge in Österreich (AEKÖ).
Quelle: kathpress