
"Mein Notre-Dame wird auferstehen"
Mein Notre-Dame wird auferstehen.
Diese Überzeugung hat Kardinal Christoph Schönborn kurz vor dem Osterfest zur Brandkatastrophe rund um die Pariser Kathedrale geäußert. In einem Kommentar für die Tageszeitung "Heute" fügte der Wiener Erzbischof, der durch seine Studienzeit in Paris eine tief emotionale Beziehung zum berühmten Gotteshaus hat, am Mittwoch hinzu:
Und viele Menschen werden helfen, weil Notre-Dame von Paris in ihren Herzen lebt.
Schönborn bezeichnete die Kirche als "die gotische Kathedrale schlechthin", sie sei zum Urbild vieler mittelalterlicher Nachfolgebauten in ganz Europa geworden:
Klare, schlichte Linien, der hohe, schlanke Bau, erhebend, himmelwärts strebend. Unvergleichlich das Licht, durch die einzigartigen uralten Glasfenster bunt leuchtend.
Dass Notre-Dame nicht nur für Christen ein nach wie vor lebendiges Glaubenszeugnis des Mittelalters ist, hob der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler in der Ö1-Radiosendung "Religion aktuell" hervor. Die Kathedrale sei "Sinnbild einer überschaubaren städtischen Kultur" und auch für Konfessionslose sei sie in der heute so pluralen, unübersichtlichen Welt "ein Identifikationsmoment, in dem Glaube, Wissenschaft und Kultur zusammengehen". Glettler äußerte die Hoffnung, dass der Wiederaufbau von Notre-Dame zum Symbol für eine Zusammenarbeit jenseits aller weltanschaulichen Barrieren und Glaubensüberzeugungen wird.
"Die Menschen rücken wieder mehr zusammen"
Den Hintergrund der großen Anteilnahme auch von Menschen, die keine gläubigen Christen sind, erläuterte die Kunst- und Denkmalschutzexpertin der Erzdiözese, Elena Holzhausen, im Gespräch mit der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag". Ein Baukunstwerk wie Notre-Dame weise weit über das Architektonische hinaus. Die Diözesankonservatorin verwies auf das "kollektive Gedächtnis, das die Erfahrung des Einzelnen übersteigt". In einer Zeit, als kaum jemand lesen und schreiben konnte, habe es Menschen gegeben, die wussten, wie man große, lichtdurchflutete Gotteshäuser bauen kann. "Damit sind die Pariser aufgewachsen", sagte Holzhausen. Sie verwies auch auf große Momente der Geschichte, die sich in Notre-Dame "eingeschrieben" hätten: die Bartholomäusnacht 1572 ebenso wie die "Französische Revolution mit den abgeschlagenen Königsköpfen" bis zur Verkündigung des befreiten Frankreichs 1944.
Kirchen seien generell weit mehr als normale Häuser, nämlich "Erfahrungsorte, die uns in Ruhe die Chance geben, uns den großen Fragen zu stellen: Woher komme ich, wohin gehe ich?" Das würden auch viele Menschen erleben, die nicht zum Beten, sondern nur zum Staunen kommen, so die Diözesankonservatorin.
Die weltweite Anteilnahme an der Brandkatastrophe zeige, dass hier nicht nur die französische Gesellschaft betroffen ist, wie Holzhausen betonte:
Ein Wiederaufbau von Notre-Dame bedeutet sehr viel an Miteinander, an Zusammenhalt und auch an weltweiter Solidarität. Die Menschen auf unserem doch sehr klein gewordenen Planeten rücken wieder mehr zusammen. Das ist wertvoll.
Mit Bauten wie Notre-Dame oder auch dem in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs zerstörten und dann in einem nationalen Kraftakt wieder aufgebauten Stephansdom seien tiefe Heimatgefühle verbunden, wies der Linzer Kunsthistoriker Lothar Schultes am Mittwoch in den "Oberösterreichischen Nachrichten" hin. In Momenten der Bedrohung oder gar Zerstörung sei ein Kirchenbau "aus allen Religionsdiskussionen herausgehoben - und vor allem ein verbindendes Element".
"Wissens- und Kulturspeicher" bis heute
Zwischen Notre-Dame und modernen Wolkenkratzern besteht ein enger Zusammenhang, innovative Architekten aller Epochen haben gotische Kathedralen studiert und geschätzt: Das betonte der Wiener Architekturhistoriker Matthias Boeckl im Interview mit den "Salzburger Nachrichten" (Mittwoch). Notre-Dame u.a. Gotik-Baujuwele hätten die Skelettbauten der Moderne präfiguriert - nach dem gleichen Prinzip:
Die Wände werden aufgelöst in Glas, ansonsten hat man nur Stützen, die in der Kathedrale die Gewölbe und in heutigen Bauten die Deckengeschoße tragen.
In Notre-Dame u.a. Kathedralen sei das gesamte Wissen der damaligen Entstehungszeit gespeichert gewesen, "das war ein riesiges gesamtgesellschaftliches Projekt" rund um Technik, Handwerk, Theologie, Kunst, sagte Boeckl. Dieser mittelalterliche "Identitätsmagnet" habe sich später auf das Medium Buch verlagert, heute in den Cyberspace. "Doch noch immer ist die Kathedrale ein Wissens- und Kulturspeicher", so der an die Wiener "Angewandten" lehrende Boeckl. "Diese enorme Symbolkraft zeigt sich ja an den Reaktionen auf den Brand."
Quelle: kathpress