Austausch mit Russland über Gefängnisseelsorge
Seit fünf Jahren pflegen Erzdiözese Wien, Justizministerium und russisch-orthodoxe Kirche einen hochrangigen Austausch zur Gefangenenseelsorge. Dieser wurde nun fortgesetzt mit einer Konferenz, die über die Betreuung von Verurteilten außerhalb der Haft - mit Fußfessel, auf Bewährung oder in Resozialisierung etwa - diskutierte. Auch der Religionsdialog in der Gefangenenseelsorge sowie deren Beitrag zu Deradikalisierung von Gefangenen waren Themen des viertägigen Treffens, an dem sich in dieser Woche u.a. der Wiener Weihbischof Franz Scharl, Erzbischof Irinarch von der Synodalabteilung für Gefängnisseelsorge des Moskauer Patriarchats, der in Aserbaidschan für diesen Bereich zuständige Erzpriester Mefodiy Efendiyef und vom Justizministerium der Leitende Staatsanwalt Karl Drexler beteiligten.
Die 2014 gestartete Kooperation, die zu jährlichen Treffen führte - außer in Wien auch u.a. in Vitebsk (Weißrussland), Nischni Nowgorod (Russland) und nächstens in Velinky Novgorod (Russland) - sei eine beiderseitige Lernerfahrung, erklärte Weihbischof Scharl im "Kathpress"-Interview am Mittwoch. "Trotz der verschiedenen Hintergründe und Systeme ist schließlich die Situation der Häftlinge dieselbe." Der Austausch sei eine Form der Umsetzung dessen, was Papst Franziskus und der Moskauer Patriarch Kyrill bei ihrem historischen Treffen 2016 hervorgehoben hätten - "dass die beiden Kirchen nicht Konkurrenten, sondern Geschwister sind, die in Harmonie Gemeinsames entwickeln", so der in der Erzdiözese Wien für die kategoriale Seelsorge zuständige Weihbischof.
Scharl nannte die Einbindung der Wissenschaft in die Gefangenenseelsorge in Russland, die Ausbildungsformen der hier Tätigen wie auch die Sensibilität gegenüber anderen Religionen als wertvolle Impulse für Österreich. "Zum Beispiel, wenn man dort mit großer Rücksicht darauf achtet, wie man die fünf täglichen Gebetszeiten der Muslime zu drei Momenten - mehr ist im Vollzug normalerweise nicht möglich - zusammenlegt. Der Koran erlaubt dies im Zuge einer Pilgerfahrt." Umgekehrt seien aus russischer Perspektive u.a. die Zusammenarbeit mit der UNO, mit der Täter- und Opferarbeit der Ombudsstellen oder eben die Überlegungen für eine Begleitung auch außerhalb der Anstalten interessant. So betreibt etwa die Kategoriale Seelsorge der Erzdiözese Wien eine Beratungsstelle, ein Wohnheim und Startwohnungen, in denen im Vorjahr 80 Haftentlassene übergangsweise lebten.
Erzieherische Effekte und Menschenwürde
Erzbischof Irinarch (Kuzmic Grezin) von Krasnogorsk kam im Interview mit "Kathpress" näher auf die Bedeutung der Seelsorge für Verurteilte außerhalb der Gefängnismauern zu sprechen. Dass Haftstrafen in Russland wie auch im Westen unter bestimmten Bedingungen zunehmend auch außerhalb der Vollzugsanstalten verbüßt werden können, sei ein wichtiger Fortschritt, um die Würde eines Sträflings zu wahren und die Beziehung zur Familie weiter pflegen zu können, betonte der Leiter der russischen Gefangenenseelsorge. In der Betreuung dieser Personen stehe man jedoch noch ganz am Anfang, zumindest außerhalb von Moskau, "denn es ist schwierig, mit den zerstreut lebenden Menschen dann noch weiter in Kontakt zu stehen".
Anders sind die Rahmenbedingungen für Erzpriester Mefodiy Efendiyec, der im aserbaidschanischen Baku die Gefängnisseelsorge des Moskauer Patriarchats leitet. In seinem Land, sind weniger als fünf Prozent Christen. Die Politik der "Durchmischung", welche von der Regierung stark gefördert werde, begünstige den Religionsdialog in seinem Arbeitsbereich sehr: Auch in den Gefängnissen gibt es christliche Kapellen, und zwar gleich neben den Moscheen - "damit ein gegenseitiges Kennenlernen stattfindet". Zu den Gefängnis-Imamen gebe es herzlichen Kontakt, zu Ramadan-Beginn oder Ostern gratuliere man sich gegenseitig. "Würden wir das nicht machen, hätten die Radikalen schnell die Oberhand, was die Gesellschaft destabilisieren würde. Für uns ist es sehr wichtig, in welchem Zustand die Insassen eines Tages das Gefängnis verlassen", so Erzpriester Mefodiy.
Sergey Gurov, Zuständiger für die Zusammenarbeit der russischen Justizanstalten mit den anerkannten Glaubensgemeinschaften, zu denen in Russland neben der Orthodoxie Islam, Judentum und Buddhismus zählen, verwies im Gespräch mit "Kathpress" ebenfalls auf einen "pädagogischen Effekt" und die Vermittlung ethischer Werte, welche Seelsorge in Gefängnissen und Strafkolonien ermögliche - neben dem Hauptziel, Menschen "zu Gott zu führen". Wichtig sei, dies auch selbst vorzuleben: "Wenn ein Imam, ein Rabbiner und ein orthodoxer Geistlicher zu dritt friedlich durch die Zellen gehen, ist das ein starkes Bild, das bei den Häftlingen Nachdenkprozesse auslöst."
Freigeister mit Verschwiegenheitspflicht
"Probleme, die im russischen Kontext auftreten, gibt es im kleinen Maßstab auch in Österreich. Einzelne Erfahrungen daraus können wir dabei für unseren Kontext übernehmen, ohne sie zu kopieren", berichtete Staatsanwalt Karl Drexler. Speziell das Zusammenleben der verschiedenen Religionen im Gefängnis etwa sei in Österreich noch ein sehr junges Phänomen; erst in den jüngsten Jahren seien bei der Anzahl der Häftlinge hinter den Christen die Muslime gleichauf mit den Orthodoxen auf Platz zwei gerückt. Drexler lieferte bei der Konferenz Einblicke in die Grunddaten zum Strafvollzug und zur Strafverfolgung in Österreich.
Klar sei jedoch, dass in Österreich auch die Rolle der Gefängnisseelsorge eine andere als in Russland sei, fuhr Drexler fort: "Sie ist innerhalb der Betreuungsfachdienste, neben Psychologen, Sozialarbeitern, Ergotherapeuten usw. eine Art Freigeist, die nicht direkt im zielgerichteten Arbeiten der Organisation eingebunden ist - auch aufgrund der Sonderstellung ihrer Verschwiegenheitspflicht", so der Vertreter des Justizministeriums. Diese Rolle biete viele Chancen, nicht zuletzt beim momentan aktuellen Thema Terrorprävention und Deradikalisierung:
Wenn sich extreme Ideen auf Religion berufen, kann die Seelsorge unterstützend zu den staatlichen Maßnahmen vor Augen führen, dass die eigene Lehre vielmehr eine ganz andere ist.
Quelle: kathpress