Früherer Bundestagspräsident
FPÖ ist "unfähig zu moralischer Selbstkritik
Früherer Bundestagspräsident
FPÖ ist "unfähig zu moralischer Selbstkritik
Mit einer scharfen Kritik an der aktuell von der FPÖ forcierten Wahlkampfdevise "Jetzt erst recht" hat sich der deutsche SPD-Politiker und frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zu Wort gemeldet. Das Verhalten der FPÖ nach Bekanntwerden des "Ibiza-Videos" und dem Ende der Koalition zeige "deren vollkommene Unfähigkeit zur moralischen Selbstkritik", betonte Thierse in einem Interview mit "Kathpress". Indem sich die FPÖ moralischen Einsichten verweigere, bringe sie letztlich "alle Politiker in Verruf und in Verdacht". Er sei jedoch zuversichtlich, dass die österreichische Demokratie stark genug ist, um sich "von den handelnden Politikern zu befreien". Kritik übte Thierse auch am Verhalten von Bundeskanzler Sebastian Kurz, der nun so tue, "als habe er mit all dem nichts zu tun".
Thierse nahm am Freitagabend in Wien an der "Langen Nacht der Kirchen" teil. In der Wiener Schottenkirche diskutierte er mit dem evangelischen Bischof Michael Bünker und dem die Österreichische Bischofskonferenz in Brüssel vertretenden Michael Kuhn unter dem Titel "Läuft die Gesellschaft aus dem Ruder?" über aktuelle extremistische Strömungen.
Im Blick auf die EU-Wahl am Sonntag und eine grassierende Europa-Müdigkeit ortete Thierse ein Hauptproblem in der zunehmenden Angst vor "Entheimatung". Dies werde hervorgerufen durch ökonomische, ökologische sowie politische Krisen, Globalisierung sowie Digitalisierung. Kirche, Kultur und Politik seien angesichts dieser Herausforderung gleichermaßen aufgerufen, nach Lösungen "jenseits vergangener Politik-Idyllen" sowie jenseits auch nationalistischer Bewegungen zu suchen. "Der starke Mann hilft uns jedenfalls nicht weiter", meinte Thierse mit Blick auf "Erlöser-Figuren rechter Bewegungen". Allein sachliche Erklärungen und seriöse Lösungsvorschläge würden dazu beitragen, das Vertrauen der Menschen in einer immer pluralistischeren Welt zurückzugewinnen.
Die christlichen Kirchen könnten in dieser "dramatischen Situation" verunsicherten Menschen mit ihrer "Botschaft von Nächstenliebe, Gotteskindschaft und des Angenommenseins" Heimat geben. Voraussetzung sei aber eine neue Sprache, ein Sendungsbewusstsein und ein positives Verständnis von Mission. "Kirchen müssen sich bemühen, die Menschen zu erreichen, sonst können sie es gleich aufgeben", meinte Thierse. Und weiter: "Wir brauchen selbstbewusste Christen, die ihre Vision von einer gewaltfreien Welt teilen und sich am Gespräch beteiligen."
Mit Blick auf das Konfliktpotenzial der aktuellen Krisen forderte Thierse Toleranz und eine "Kultur der Anerkennung". Toleranz sei "eine schwierige Tugend, die den eigenen Wahrheitsanspruch und den Respekt vor den anderen zulassen muss", erklärte der ehemalige SPD-Politiker. Ansonsten drohe Gewalt, ausgelöst durch Ängste und Verunsicherung.
Quelle: Kathpress