Wrabetz: Kategorischer Imperativ soll auch für IT gelten
Der Kategorische Imperativ, demzufolge die Maxime des eigenen Handelns auch als Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung dienen könnte, soll auch für den IT-Bereich gelten. Das sagte ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz bei der Schlussdiskussion des diesjährigen Pfingstdialoges "Geist&Gegenwart" am Freitag auf Schloss Seggau (Stmk.). Mit der Digitalisierung - die Thema der dreitägigen Veranstaltung im kirchlichen Bildungszentrum war - sei die größte gesellschaftliche Veränderung seit der industriellen Revolution verbunden; freilich mit nicht nur positiven Begleiterscheinungen, so Wrabetz. Er verwies auf digitale "Echokammern" und abgeschottete Blasen, über die heute Politik vermittelt werde. Umso größeres Augenmerk müsse auf Massenmedien liegen, die zu Recht Vertrauen genießen.
Der ORF-Generaldirektor äußerte sich bei einem Podiumsgespräch mit "Styria"-Chef und VÖZ-Präsident Markus Mair, der Journalistin und Web-Fachfrau Ingrid Brodnig, dem Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und dem künstlerischen Geschäftsführer der "Ars Electronica", Gerfried Stocker, über "die Ethik des digitalen Diskurses".
Kommunikation im Internet unterliege heute oft einer "Eskalationsspirale", so die Beobachtung von Wrabetz. ORF-Redakteure hätten auch schon früher als Zielscheibe für unliebsame Berichte herhalten müssen, heute sei diesbezüglich aber eine "neue Qualität" erreicht - auch in Form politisch geschürter und gesteuerter Angriffe. Der ORF-Generaldirektor sprach sich für europäische Alternativen zu den jetzt dominierenden US-amerikanischen IT-Riesen und Plattformen aus, die dann auch europäischen Werten und Regeln verpflichtet sein müssten.
In der digitalen Welt gelten die im analogen Bereich geltenden Regularien bisher nicht, verwies "Styria"-Vorstandsvorsitzender Mair auf Themen wie Urheberrecht. Auch dass Unternehmen wie Facebook oder YouTube die Verantwortung für hochgeladene Inhalte verweigern, sei ein Missstand, der abgestellt werden müsste. Meinungsvielfalt sei ein hohes demokratisches Gut, was aber nicht Akzeptanz gegenüber jedem "digitalen Rülpser" bedeuten müsse, so Mair. Im Styria-Konzern werde auf die Trennung vom kaufmännischen und redaktionellen Bereich geachtet - auch gegenüber "begehrlichen Anrufen aus den Parteien". Und als Prinzip gelte: "Wahrheit vor Tempo".
Medienkompetenz lernen
Einig war sich Mair mit den anderen Diskutierenden, dass auf die Vermittlung von Medienkompetenz inklusive ethischer Sensibilität bereits im Schulwesen mehr Augenmerk gelegt werden müsste. Medienwissenschaftler Pörksen, Autor des Buches "Die große Gereiztheit: Wege aus der kollektiven Erregung", forderte gleich ein neues Schulfach, das in diesem Bereich Theorie und Praxis vermittelt. Und es brauche eine groß angelegte Wertedebatte, die den Wert der Öffentlichkeit als "geistigen Lebensraum" einer Gesellschaft abseits von Hate Speech verdeutlicht. Bisher seien wir "medienmächtig, aber nicht medienmündig". Pörksen verlangte auch mehr Transparenz: seitens des Journalismus, aber auch seitens der großen Plattformen, bei denen sich Internet-User fragen können sollten: "Gefällt mir deren Politik?"
Gerfried Stocker zeigte anhand kreativer Thematisierungen verschiedener Facetten von digitaler Kommunikation im Rahmen der "Ars Electronica" auf, dass überzogener Kulturpessimismus unangebracht sei. 4,5 Milliarden Menschen weltweit hätten Zugang zum Internet - mehr als zu sauberem Wasser, diese Technologie sei genauso Teil von Kultur wie andere und habe eine große Verführungskraft, weil Menschen nunmal auf Kommunikation angelegt seien - und wenn es auch nur um Katzenfotos geht, über die man sich austauschen will.
Ingrid Brodnig, 2017 von der Bundesregierung zur digitalen Botschafterin Österreichs in der EU ernannt, zeigte anhand eines Beispiels von Einschüchterung einer Caritas-Mitarbeiterin, wie schwierig eine Menschenwürde achtende Diskussion im Internet ist: Die Betreffende solle aufpassen, dass ihren Kindern nichts passiert, habe ein über die Caritas verärgerter anonymer User wissen lassen - eine digitale Drohbotschaft, die sich durch Warnungen an die Kinder und Besorgnis bei der Betreffenden konkret auf deren "analoges Leben" auswirkte. Das Aggressionsniveau in den sozialen Medien ist laut Brodnig viel höher als in Situationen, in denen Augenkontakt für Empathie sorgt. Ethikregeln würden der Online-Enthemmung keinen ausreichenden Riegel vorschieben, Brodnig forderte unter dem Applaus des Publikums seitens der Politik den Mut ein, gesetzlich klare rote Linien festzulegen. Wie in der Frühzeit der Automobilität werde es die Menschheit aber schaffen, auch im IT-Bereich Schritt für Schritt sinnvolle Regularien zu entwickeln, zeigte sich die Expertin optimistisch.
Quelle: kathpress