Sozialstaat stärken statt "Ellbogen ausfahren"
Seit der Finanzkrise sind die "Ellbogen" ausgefahren, sozialstaatliche Leistungen wurden beschnitten und die Stützen für Armutsbetroffene gekürzt. Darauf verwies die Direktorin der Katholischen Sozialakademie Österreichs (ksoe), Magdalena Holztrattner, in einem Interview im Ö1-Wirtschaftsmagazin "Saldo" am Freitag (20.12). Dringend notwendig sei das Bewusstsein, dass "Armut jeden treffen kann". Anlässlich der Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und den Grünen forderte die Theologin eine Stärkung des Sozialstaates, nachhaltige Antworten auf die Klimakrise und politische Rahmenbedingungen, "damit Menschen ihren Bedürfnissen entsprechend und nicht auf Kosten anderer leben können". Im Mittelpunkt dürfe nicht mehr die Gewinnmaximierung stehen, sondern der Mensch.
Dazu gehört laut Holztrattner auch, dass das Leitmotiv "Wohlstand für alle" neu buchstabiert werden müsse - und zwar so, dass nicht mehr das "Haben", sondern das "Sein" im Fokus steht. Dazu gehöre u.a. auch die Reduktion des Konsums sowie das Bemühen um ein "gutes Leben für alle".
Wichtig sei dabei die Diskussion über eine Umverteilung von Leistungen und Steuern, etwa in Form von Steuern auf "leistungsfreies Einkommen", wie Erbschaften, appellierte die Armutsexpertin. Als besonders dringlich erachte sie auch die Schließung des sogenannten "Gender Gap" (Geschlechterkluft) bei Erziehung und Pflege.
Die Theologin, die in ihren Vorträgen und ksoe-Blogeinträgen immer wieder auf die Idee eines "guten Lebens für alle" verweist, erinnerte im Ö1-Interview auch an die Kritik von Papst Franziskus an der "technischen und wirtschaftlichen Reduktion des Menschen". Unternehmen müssten sich fragen, was sie für Mitarbeiter und Konsumenten tun, betonte die ksoe-Chefin. Mitarbeiter sollten dabei nicht nur als "Produktionsfaktoren" gesehen werden, sondern als Menschen mit Fähigkeiten, die auch in Entscheidungsprozesse miteinbezogen werden sollten.
Ähnliches gelte auch für die Bevölkerung, deren Leistung nicht nur nach dem Bruttoinhaltsprodukt gemessen werden sollte. Holztrattner schlug Alternativen vor, wie das "Bruttonationalglück" im Himalaya-Staat Bhutan oder eine Fokussierung auf positive Werte wie das Ehrenamt.
Richtig nachhaltig wirtschaften
Kritik äußerte Holztrattner an der laut ihr verkürzten Umsetzung einer nachhaltigen Wirtschaft; diese solle nicht die Antwort auf die Frage "Wie lege ich mein Geld so nachhaltig an, dass ich morgen mehr davon habe?" sein, sondern die Gerechtigkeit ins Zentrum stellen.
Hilfreich könnte sich dabei die Förderung von "Diversität" - also der Vielfalt - an Führungsstilen und Mitarbeitenden erweisen, meinte Holztrattner, die u.a. in Wien und El Salvador studierte. "Bunte" Unternehmen könnten flexibler und anpassungsfähiger auf Anforderungen einer globalisierten Wirtschaft agieren. Anregungen dazu könnte sich die Wirtschaft auch in der Bibel holen, z.B. in der Bergpredigt, so Holztrattner.
Enttäuscht zeigte sich die ksoe-Direktorin vom Ergebnis des "Volksbegehrens für ein bedingungsloses Grundeinkommen", das mit 69.940 Unterschriften die 100.000er-Hürde zur Behandlung im Parlament verfehlte. Positiv sei jedoch, dass das Thema "im Gespräch bleibt". Das "Grundeinkommen für alle Menschen" widerspreche der Reduktion des Menschen auf dessen "wirtschaftlichen Verwertbarkeit", sei aber kein Ersatz für Sozialleistung, betonte die Armutsexpertin.
Bildungseinrichtung und zivilgesellschaftlicher Player
Die ksoe ist eine Erwachsenenbildungs-Einrichtung der Österreichischen Bischofskonferenz. Sie ist in den Bereichen Gesellschaftspolitik, politische Erwachsenenbildung und Organisationsentwicklung tätig. Neben unzähligen Lehrgängen und Spezialausbildungen für Einzelpersonen wie auch ganze Unternehmen und Organisationen war die ksoe immer auch in große gesellschaftspolitische Initiativen involviert. So war sie etwa in den 1970er Jahren maßgeblich am Dialog zwischen Kirchen und Parteien beteiligt, indem sie Gespräche organisierte und das 2003 erschienene "Ökumenische Sozialwort" der 14 christlichen Kirchen in Österreich sowie den Nachfolgeprozess "Sozialwort 10+" (2013/14) koordinierte.
Seit 2013 ist mit Magdalena Holztrattner auch erstmals ein Frau Direktorin der ksoe, die 2019 ihr 60-Jahr-Jubiläum unter dem Motto "Zukunft gestalten. demokratisch - solidarisch - gerecht" feierte. (Infos: www.ksoe.at)
Quelle: kathpress