
Kreuz-Debatte: Theologe Tück warnt vor "Politik der weißen Wand"
In die Kreuz-Debatte rund um Nicht-Anbringung von Kreuzen im Wiener Krankenhaus Nord hat sich nun auch der Wiener Theologe Prof. Jan-Heiner Tück eingeschaltet und in einem Gastbeitrag für die Tageszeitung "Die Presse" (26. Februar) vor einer "Politik der weißen Wand" gewarnt. Wer meine, dass die religiöse Neutralität des Staates durch einen von allen religiösen Symbolen befreiten öffentlichen Raum gewährleistet werde, übersehe, dass dies eine "laizistische Schlagseite" habe und eben keine Neutralität, sondern eine "Privilegierung der Religionslosen" bedeute. Auf der anderen Seite greife aber auch jene Position zu kurz, die "das Kreuz als Kultur- und Geschichtssymbol" und Identitätsmarker begreife, betonte Tück.
Zweifel meldete Tück an der Grundannahme in der aktuellen Debatte an, dass Anders- oder Nichtgläubige sich notwendigerweise durch Kreuze diskriminiert fühlen müssten. Dies sei nicht erwiesen. Außerdem bleibe eine "Leerstelle", die es zu füllen gelte - im Fall des Wiener Krankenhauses Nord etwa durch große Aufkleber mit einem Birkenwald, wie der ORF berichtete. Er habe seine Zweifel, so Tück, ob durch solche "esoterischen Ersatzsymbole, die keine Tradition haben und kaum zu denken geben" tatsächlich jene vielschichtigen Sinngehalte aufgefangen würden, die etwa das Kreuz auch für jene Menschen bereithalte, die keiner Religion angehören.
Der Theologe erinnerte zudem an den agnostischen Intellektuellen Jose Enrique Rodo (1871-1917), der protestiert habe, als man aus den Spitälern Uruguays um 1900 herum die Kreuze entfernen wollte. Rodo habe - gleichwohl Agnostiker - ein "waches Gespür dafür" besessen, "dass etwas fehlt, wenn das Kreuz fehlt". Tück: "Im Kreuz sah er ein Modell für Mitleid und Hingabe, das auch Anders- und Nichtgläubigen etwas sagen kann."
Kritisch äußerte sich der Theologe aber auch gegenüber jenen Stimmen, die das Kreuz im Gegenzug als "Sinngaranten der österreichischen Kultur" und als "Wertressourcen für die Zukunft" verteidigten: Wenn "ausgerechnet die Politik als Schutzmacht christlicher Symbole" auftrete, so sollte eine kritische Theologie Einspruch erheben: "Soll das Kreuz hier zur Verteidigung des 'christlichen Abendlandes' missbraucht und für eine bestimmte Identitätspolitik funktionalisiert werden?"
Verdrängtes sichtbar machen
Dagegen gelte es festzuhalten, dass das Kreuz "mehr als ein kulturelles Zeichen" ist, so Tück: Es sei etwa gedanklicher "Anstoß", um gerade in Spitälern etwas sichtbar zu machen, was ansonsten gerne verdrängt werde, nämlich die Realität des Todes. Zudem biete das Kreuz gerade dadurch Trost, dass es die Leidensgeschichte des Gekreuzigten in den Mittelpunkt rücke; und es könne schließlich vor diesem Hintergrund als "Zeichen des Lebens" und der Hoffnung auf Rettung gerade auch in Grenzsituationen verstanden werden.
Kirchliche Einrichtungen wie Spitäler oder auch Schulen täten daher gut daran, gerade keinen vorauseilenden Gehorsam zu leisten und Kreuze zu entfernen, sondern ihr Profil zu schärfen: "Sie sollten den Geist christlicher Compassion bewusst pflegen, der im Symbol des Kreuzes seinen dichtesten Ausdruck findet". Dies sei nicht exklusiv zu verstehen, sondern "käme am Ende allen zugute", so Tück.
Quelle: kathpress